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Dialog auf dem Berg der Wahrheit

„Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“ luden zum Friedenssymposium / Dabei waren Christa Wolf, Stefan Heym, Horst-Eberhard Richter und Hans-Peter Dürr / Brisant: DDR-Flüchtlinge  ■  Vom Monte Verita Bascha Mika

Einst zogen sie aus, um auf Asconas Berg der Wahrheit ein anderes Leben zu lernen, die Anarchisten und Lebensreformer, die Künstler des Pinsels und der Worte. Das wollten die TeilnehmerInnen des Symposiums Macht und Frieden auch eine Woche lang, versteht sich. Eine Woche, um mit Prominenten wie Christa Wolf und Hans-Peter Dürr, Stefan Heym und Horst-Eberhard Richter herabzublicken von dem Gipfel des Monte Verita auf die friedlose Welt und in die eigene friedfertige Seele.

Die Seelchen unter den rund 90 ÄrztInnen wider den Atomkrieg hatten es allerdings nicht leicht mit innerem Friedensgeturtel. Denn die Gäste aus dem sozialistischen Ausland kamen mit schwerem deutsch-deutschem Gepäck. „Massenflucht aus dem Arbeiter und Bauernstaat“ war das politische Thema auf dem Wahrheitsberg, die DDR-Schriftstellerin Christa Wolf und ihr schreibender Landsmann Stefan Heym erste Quellen.

Und so versuchte Christa Wolf erst gar nicht, den Gegenstand des Symposiums allgemein aufzugreifen. „Ich bin aus einer sehr großen Unruhe heraus zu diesem Seminar gekommen. Einer Unruhe, die in den letzten Wochen um uns alle herum ist in der DDR“, leitet sie leicht atemlos ihr Referat ein (siehe Seite 8). „Ich merke, daß ich alles, was ich hier zum Thema Macht und Frieden höre, auf das beziehe, was mich zu Hause umgibt und erwartet. Dort sind die Entwicklungen jetzt sehr schnell.“ Der Widerstand jenseits der Mauer formiert sich. In rasanter Geschwindigkeit entstehen Gruppen, die die DDR als sozialistischen Staat retten wollen, berichtet die Autorin. „Bei allen diesen Gruppen ist die wichtigste Forderung die des Dialogs. Es geht also keineswegs darum, jemanden zu stürzen“ betont sie

-vor allem wohl in Richtung der westdeutschen ZuhörerInnen im Salone Balint des Albergo Monte Verita.

Was interessiert das alles die SchweizerInnen, wird aus dem Plenum ein kleiner Aufstand geprobt, denn etwa die Hälfte der SeminarteilnehmerInnen kommt aus dem Bergland. Wären weniger politische Themen nicht viel netter? Netter vielleicht. Doch nicht alle ZuhörerInnen wollen es sich nur nett machen im Luxushotel mit Blick auf den Lago Maggiore. Und Stefan Heym, knorzige, widerständige deutsche Eiche (Ost), braucht nicht lange seine Stimme zu erheben, um den Massenexodus als gesamteuropäisches Problem zu etablieren.

Dazu gehört auch mehr Information über die Lage der Menschen in der DDR. „Der Zustand vieler Leute war vor der Ausreisewelle eher gedrückt. Sie hatten keine rechte Hoffnung mehr, sie haben sich kaum noch artikuliert, man hat zusammengesessen und geklagt. Nach außen gewandt, auch aggressiv, haben sich im Grunde nur die, die ausreisen wollten“, beschreibt es Christa Wolf. Mobilisiert hat die meisten die Massenflucht und die Angst, daß es zu spät sein könnte. „Und das ist übrigens auch meine Angst.“ Das hat in der DDR einen Lernprozeß in Gang gesetzt. „Viele versuchen jetzt sehr schnell den Begriff der Mündigkeit und Reife mit Realität auszufüllen.“ Das zu schaffen, ohne zur Erosion beizutragen, sondern damit die DDR zu stärken, „ist wirklich sehr schwierig in einem Moment, wo sich die Regierung nicht auf einen Dialog einläßt“. Hoffnung liegt für viele darin, daß sie überhaupt etwas tun, so die dunkelhaarige Frau mit dem leicht resignierten Zug um den Mund.

Die Gruppen, die eine Veränderung wollen, „sind ganz offen. Es gibt keine Konspiration. Es wird unterschrieben mit Name, Beruf und Wohnort. Und das ist auch die einzige Chance“ und zeigt die Verzweiflung, denn ob man zum Beispiel die Stelle verliert, ist nicht mehr entscheidend. Wenn diejenigen, die als Vereinigung anerkannt werden wollen, scheitern, „weiß ich nicht wie es weitergeht“, sagt die Schriftstellerin.

Einem finnischen Psychoanalytiker ist die unterschiedliche Situation der Warschauer-Pakt-Staaten nicht klar. „Im Gegensatz zu Polen und Ungarn liegt die Existenzmöglichkeit der DDR in den jetzigen Zeiten der Entspannung nur darin, daß sie ein sozialistischer Staat ist und bleibt“, erklärt der weibliche Gast aus dem Osten der Versammlung, die sich auf häßlichen weißen Plastikstühlen um ihn schart. „Wenn sie nichts anderes will als die Bundesrepublik, kann sie sich gleich dem größeren Staat auf deutschen Boden anheimgeben.“ Glasnost braucht die DDR. Aber das Wiedervereinigungsgeschrei gefährdet die Gorbatschowschen Reformen - der männliche Gast aus Honeckers Staat nickt eifrig -, die in der DDR durch den Bruder hinter der Mauer viel schwieriger sind.

Christa Wolf sieht in der Bevölkerung eine politisch reife Schicht, die in der Lage ist, diese Schwierigkeiten mitzureflektieren „und nicht die Regierung in dumpfer Wut zu Maßnahmen zu drängen, die einer Selbstaufgabe nahekämen. Davon kann und darf meiner Ansicht nach nicht die Rede sein.“ Die Einsicht in die krisenhafte Lage reicht weit in die Reihen der SED hinein. „Das Klima in der Partei ist unglaublich kritisch.“ Stefan Heym wollte der Versammlung ursprünglich ein Interview zu Gehör bringen, das er dem Zeitgeistmagazin 'Wiener‘ gegeben hat. Doch er verschont uns damit und erzählt lieber ein Märchen: Des Kaisers neue Kleider von Hans Christian Andersen a la Heym. „Warum haben Sie Ihre Erzählung Ein Märchen für kluge Kinder genannt?“ fragt eine Teilnehmerin schüchtern Meister Heym. Der ist ehrlich: „Weil es sich besser verkauft.“

Die Märchensymbolik läßt Raum für aktuelle politische Interpretationen, und sehr schnell geht es auf dem Berg der Wahrheit wieder um die deutsch-deutsche. „Wir wissen nicht, was in den nächsten Tagen und Wochen noch auf uns zukommen wird.“ Der 76jährige Heym bleibt nicht gelassen, sobald es um die Flüchtlinge, und schon gar nicht, wenn es um die westliche Kampagne in diesem Zusammenhang geht. „Was im Westen jetzt hochkommt, ist außerordentlich gefährlich. Die Niederlage, die die Führung der DDR erlitten hat, indem sie es versäumte, genau die Dinge zu tun, die Christa genannt hat, führt historisch automatisch zu Schritten, die vielleicht nicht mehr rückgängig gemacht werden können.“

Auch dieser von den verknöcherten Apparatschiks in der DDR nicht gerade geliebte Mann sieht durch die Wiedervereinigungsdebatte den Reformprozeß, der von der Sowjetunion ausgeht, gefährdet. Dem Westen bietet sich jetzt die Gelegenheit, weiter vorzustoßen und den notdürftigen Zustand des Gleichgewichts in Europa zu seinen Gunsten umzukippen, „was dann wiederum natürlich die andere Seite, die Reformen wollte und will, veranlassen muß, ihrerseits Verteidigungsschritte zu unternehmen: Und wir sind zurück im kalten Krieg.“

Niemand mehr interessiert sich in diesem Moment für die Schönheit des Tessins, die warme Luft, die durch die offenen Terrassentüren in den Salone Balint treibt. Niemand läuft über den gut gebonerten Parkettboden. Dieser Krieg könnte im Zeitalter der Atombombe sehr schnell sehr heiß werden, prophezeit Heym. „Das ist eine Situation, die sich schattenhaft, aber doch ganz schön deutlich abzeichnet.“

Er selbst ist eigentlich in die Schweiz gekommen, um Ferien zu machen und dieses Seminar noch mitzunehmen. Doch der Urlaub war - gespickt mit den Nachrichten aus der Heimat alles andere als angenehm für den Mann mit dem Eulenblick. „Es ist ein historischer Moment, und wir können sagen: Wir sind dabeigewesen. Und ich wünschte mir fast, daß man das nicht sagen müßte und daß wir uns das ersparen können, dieses Dabeisein. Wir sind aber dabei, und vielleicht können wir irgend etwas tun.“

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