: Dial H-I-S-T-O-R-Y
Den politischen Horizont des auslaufenden Jahrzehnts und die Gefängnisse öffnen: Die Filmreihe „das weite suchen“ im Metropolis rekonstruiert die Geschichte der militanten Linken ■ Von Kristof Schäfer
Im Deutschland der Neuen Mitte gibt es viele verdrängte Fragen – und Antworten. Eine der Fragen lautet: Was hat Anfang der 70er einige dazu gebracht, in bewaffneten Gruppen zu kämpfen? Darauf Antworten zu geben, versucht eine Filmreihe im Metropolis, um der gegenwärtigen Enthistorisierung, Trennung und Ästhetisierung von linker und militanter Geschichte entgegenzutreten.
das weite suchen ist zugleich Auftakt einer gleichnamigen bundesweiten Kampagne, die sich die Freilassung der letzten sechs Gefangenen aus der RAF zum Ziel gesetzt hat. Sie drohen genauso in Vergessenheit zu geraten, wie jene historischen Verhältnisse um 1970, „in der auch die intellektuellen Vertreter der Debatte“, so Karl Heinz Roth, in die schönste jugend ist gefangen, „in einem sehr breiten Sinn für revolutionäre Gewalt eingetreten sind.“ Man denke nur an die Solidarität mit desertierenden GIs und der Black-Panther-Party, in der die vermeintlich „abstrakte“ Solidarität mit Vietnam ganz konkret wurde.
Kaum eine Reihe im Metropolis wurde so sorgfältig zusammengestellt wie diese mit Filmen aus den Jahren '67 – '97. Weil aber das Kino die Kommunikation nicht ersetzt, hat die für die Reihe verantwortliche Filmemacherin Margit Czenki, Anfang der 70er selbst für 5 Jahre im Knast für den Bankraub einer undogmatischen linken Gruppe, für jeden Tag Gäste eingeladen: Filmemacher, Kritiker und Frauen aus Guerilla und RAF unterfüttern und aktualisieren die Filmreihe, die mit Chris Markers überwältigender 3-Stunden-Doku Le fond de l'air est rouge am Mittwoch beginnt.
So wird Irmgard Möller – einzige Überlebende der bis heute nicht aufgeklärten Mordnacht von Stammheim – über die Anfänge der Guerilla sprechen und Die wilden Tiere live kommentieren. Die Tonspur zu Katrin Seybolds Dokumentation des legendären Knastcamps bei Ebrach wurde damals vernichtet, um Beteiligte vor staatlichem Zugriff zu schützen. Um Herbst der Gammler von Peter Fleischmann ergänzt, wird auf die subkulturellen Wurzeln der bewaffneten Gruppen verwiesen. „Für die Planung von unseren Anschlägen“, so Irmgard Möller im Interviewbuch mit Oliver Tolmein, „waren zum Beispiel Informationen, die wir von Deserteuren aus der US-Army hatten, ganz wichtig. Deutlich machen wollten wir, dass es nirgendwo auf der Welt ein ruhiges Hinterland für diese Verbrechen gibt.“
Emile de Antonio verzichtet bei der Schilderung dieser Verbrechen in Vietnam auf jeden Kommentar. In the year of the pig wurde aus Archivaufnahmen und Interviews montiert. Die auf der Basis des Kampfes gegen einen gemeinsamen Gegner entstandene Verbindung zwischen der Guerilla in der BRD und den Black Panthers, begründet einen Schwerpunkt des Programms. Auch aus aktuellem Anlass: der Solidarität mit dem von der Todesstrafe bedrohten Journa-listen und Ex-Black Panther Mumia Abu-Jamal. Filmemacherin Heike Kleffner, die Mumia regelmäßig im Knast besuchte, wird nach der Vorführung ihres Films Hinter diesen Mauern aktuell informieren. Außerdem in diesem Themenkomplex zu sehen: Black Panthers von Agnes Varda, The Murder of Fred Hampton von Mike Gray und Mario und Melvin van Peebles Panthers.
Internationalen Verbindung geht ...und plötzlich sahen wir den Himmel nach. Dabei überraschen vor allem plötzliche Nähen des kämpferisch-politischen Blickwinkels, die transatlantischen Unterschiede zwischen Uruguay und der BRD überspringen. Ulrike Meinhofs Film Bambule basiert auf der Geschichte von Irene Goergens, die sie als „Fürsorgezögling“ kennenlernte, und steht für die gerne unterschlagene Verbindung von sozialer Bewegung und bewaffnetem Kampf. Goergens arbeitet heute mit Mädchen im Weißbeckerhaus, und kann aus erster Hand über den pädagogischen Rollback berichten, der geschlossene Heime anstrebt wie jenes, das in Bambule zertrümmert wurde. Dass das Private politisch ist, war '68 noch eine leere Formel, der erst durch die Frauenbewegung Substanz verliehen wurde. Der Subjektive Faktor lässt in langen Kamerafahrten Wohnungen zu Labyrinthen werden, in denen sich die Genossen in Nebenwidersprüchen verheddern. Helke Sander, im „Rat zur Befreiung der Frau“ und SDS damals mittendrin, wird ihren Film selbst einleiten.
Ebenfalls von Sander stammt Brecht die Macht der Manipulateure, der den Themenblock zur Medialisierung eröffnet. In der Springer-Kam-pagne gedreht, wechseln die Erzählebenen präzise von kleinen Spielszenen zu Dokumentarstücken. Im Anschluss daran wird Oliver Tolmein anhand von Das Todesspiel analysieren, wie Geschichte heute bilderreich umgeschrieben wird.
La société du spectacle zeigt die medialisierte Gesellschaft als eine, in der alles was unmittelbar erlebt wurde, in die Vorstellung entweicht, indem er kulturindustrielle Bilder zweckentfremdet und mit Text unterlegt. Bereits vor dem Mai 1968 gab es Verbindungen der Situationistischen Internationale zu Künstlern und späteren Militanten in München. Roberto Ohrt kennt die Zusammenhänge wie kein anderer und wird über Bezüge zwischen S.I. und bewaffnetem Kampf sprechen. Johan Grimonprez' punkgeschulter Dokumenta-Liebling dial H-I-S-T-O-R-Y wiederum, nimmt die spektakuläre Berichterstattung der Massenmedien als Ausgangspunkt einer inoffiziellen Chronik der Flugzeugentführungen – aus der Fanperspektive. Lizzie Bordens, von Madeline Bernstorff eingeführter, feministischer Science-Fiction Born in Flames spielt 10 Jahre nach einer sozialdemokratischen Machtübernahme. Während der Geheimdienst im Trüben fischt um die rhizomatische Kommandostruktur der Women's Army zu knacken, bereiten die Frauen den Angriff auf die Medienzentralen vor. Zum Abschluss wird nach ...und plötzlich sahen wir den Himmel eine Diskussion mit Frauen aus RAF, Guerilla und der Gruppe Lotta versuchen, die heutige Situation zu analysieren, um Perspektiven zu entwickeln, wie der Forderung Nachdruck verliehen werden kann: Die letzten Gefangen aus der RAF müssen raus!
Le fond de l'air est rouge: Mi, 1. Dez., (Teil 1) 17 Uhr + (Teil 2) 19 Uhr; Herbst der Gammler/Die Wilden Tiere: Mi, 1. Dez., 21.15 Uhr; Panther: Do, 2. Dez, 17 Uhr; Black Panther/Hinter diesen Mauern: Do, 2. Dez, 21.15 Uhr; The Murder of Fred Hampton:Sa, 4. Dez, 17 Uhr;Bambule: Sa, 4. Dez, 19 Uhr; Der subjektive Faktor: Sa, 4. Dez, 21.15 Uhr; Brecht die Macht der Maipulateure:So, 5. Dez, 19 Uhr; Dial History: So, 5. Dez, 21.15 Uhr; Die Gesellschaft des Spektakels: Di, 7. Dez, 21.15 Uhr; In the Year of the Pig: Mi, 8. Dez, 17 Uhr; Born in Flames: Mi, 8. Dez, 21.15 Uhr; ...und plötzlich sahen wir den Himmel: Do, 9. Dez, 21.15 Uhr
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