: Dia-Abend mit Dinosauriern
■ Elektroliteratur: Vom Buch über das Radio-Hörspiel auf die Bühne des Roten Salons. Andreas Neumeisters Buch „Gut laut“ live mit Musik
„CD ist aus. Kassette läuft noch.“ Wie der Roman endet, beginnt seine Umsetzung als „Live- Act“. Lesung mit Musike am Sonnabend im Roten Salon der Volksbühne. „Gut laut“, die im Herbst erschienene, vielgelobte Pop-Hymne des Bayern Andreas Neumeister ist eine Reise in dessen Vergangenheit, zurück zum ersten Philips-Kassettenrecorder und dem Sommer, als das Disko-Fieber ausbrach. Die musikalische Aufbereitung der Pop-Reminiszenzen ist ein heimeliger Dia-Abend mit Freunden von damals, mit „Softcell“, Brian Eno und T-Rex.
Mit unschuldigem Lausbubengesicht und Strickpullover verschanzt sich Neumeister, Jahrgang 1959, nicht hinter Mischpult, Turntables und Laptop, er hantiert zwischen Technik und Vinyl wie der Preisträger eines „Jugend forscht“- Wettbewerbes. Klassenziel: Die Atmosphäre einer Epoche sezieren, ihren „Sound“ freilegen. Neumeister reduziert das Erstere auf das Letztere.
„Trotz Quadrophonie waren die siebziger Jahre in erster Linie beschissen.“ Eine Schutz- und Trotzbehauptung, denn daß Musik der letzten Jahre dieses Jahrtausends wesentlich auf das Disko- Jahrzehnt zurückgreift, stellt Neumeister selbst unter Beweis. Sein Roman sei selbst ein Aufzeichnungsgerät, meinten Kritiker. Nur logisch, dieses auch abzuspielen, mit Dokumenten der Schöpfungsgeschichte des Pop: „Am Anfang war die Ultrawelt“, das aus seinem Epizentrum München Mjunik („außen pfundig, innen Grundig“) machte und die Musik von Boney M. und Donna Summer zur Leitlinie erklärte. Der „Sound“ als Illustrationsgrundlage einer Zeit, die zunächst einmal aus einer Kindheit aus Plastik besteht, aus „Lego und Viking-Autos“. Gebannt in Plastikschale und Plüschsessel gesunken, verfolgte das Publikum, das bei „T-Rex“ sicherlich in erster Linie an einen Dinosaurier denkt, die medial gestützten Ausführungen des gebürtigen Starnbergers und seinen Abriß über die bundesrepublikanische Musikwelt vor zwanzig Jahren: bei Kraftwerk war zwar „alles neu, alles absolut“, doch die einzig ernstzunehmende Agit- Prop-Band blieben doch „Ton, Steine, Scherben“. Recyclet wird in den Neunzigern das eine wie das andere, was fehlt, ist der „Matratzengeruch“ von damals.
„Prima leben und sparen“, das parallel zum Buch entstandene halbstündige Radiostück, ist quasi eine Alternative zum Text des Cut- Up-Romans. Seine nun erfolgte Übertragung auf die Live-Bühne – zunächst eine einmalige Aktion – kann jedoch keine freiere Reproduktion der leider nicht käuflichen Tonkonserve darstellen: „auf die Aufführungsform muß man auch sprachlich eingehen“, so Neumeister. Im etwa halbstündigen Leseteil der Performance kommen dann vor allem knallige Versatzstücke zum Einsatz, stakkatoartige, bis zur Besinnungslosigkeit wiederholte Kurzsätze. Wie eine Erlösung, als die Sprache in einer Endlosschleife von aufgezählten Remix-Kategorien im collagierten Klangteppich der 70er- und 80er- Elektrosounds und Originalfetzen von Diskohits versinkt.
Erst eine gradlinige Elektroversion von „Rock around the clock“ der belgischen Band „Telex“ läßt die Gehörgänge wieder Tritt fassen – „Nostalgische Gefühle beim Klang analoger Synthezizer“ in Neumeisters biographischen Roman, eine geschickte Verbindung von Medien, von vernetzten Epochen, von Persönlichem. Die Geburt der Pop-Biographie aus dem Geiste des Elektrosounds. Christoph Rasch
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