Deutschtogolese kämpft um Staatsbürgerschaft: Deutschland schiebt Deutschen ab
Gerson Liebl hat seinen 18 Jahre währenden Kampf um die deutsche Staatsbürgerschaft verloren. Am Dienstag wurde er abgeschoben, dies droht nun ebenfalls seiner Familie.
Dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 zufolge erwarb das eheliche Kind eines Deutschen die Staatsangehörigkeit des Vaters, das nichteheliche Kind eines Deutschen die Staatsangehörigkeit der Mutter. Dieses Gesetz überlebte Kaiserzeit, Weimarer Republik und Nationalsozialismus; in der DDR war es bis 1967 gültig, im wiedervereinigten Deutschland wurde es im Jahr 2000 als Staatsangehörigkeitsgesetz neu gefasst. Die ausschließliche Vererbung der Staatsbürgerschaft über die väterliche Linie wurde 1975 geändert. Fortan genügte ein Elternteil, damit dem Kind die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkannt wurde. Allerdings mussten die Eltern verheiratet sein. Bei nichtehelichen Kindern blieb die Staatsangehörigkeit der Mutter ausschlaggebend. Erst 1993 wurde nichtehelichen Kindern deutscher Väter der Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkannt.
Unabhängig vom wilhelminischen Staatsbürgerschaftsrecht sah das "Schutzgebietsgesetz" aus dem Jahr 1900 Regelungen für Eheschließungen zwischen "Eingeborenen" und "Nichteingeborenen" vor, nicht aber für Eheschließungen zwischen beiden Gruppen. (DZY)
Ginette Liebl, 43, weiß nicht mehr weiter. Ihre Stimme zittert etwas. Sie will nicht lange reden. Am Tag zuvor ist ihr Mann Gerson in ein Flugzeug gestiegen, flankiert von drei Bundespolizisten. In der Nacht nach der Abschiebung ruft Gerson bei seiner Frau an, nur ganz kurz. Um zu sagen, dass er angekommen ist in Togo. Es ist ein Moment der Niederlage. Gerson Liebl hat umsonst gekämpft.
Die vergangenen 18 Jahre hatte Gerson Liebl, 46, nur ein Ziel im Leben. Er wollte Deutscher werden, ganz offiziell. Er war sich sicher, er habe ein Recht darauf. Doch die Behörden verwiesen auf alte Gesetze, die heute rassistisch wirken. Liebl ist in Togo geboren. Seine Haut ist dunkel. Die Behörden glaubten nicht, dass so einer Recht auf einen deutschen Pass hat. Doch Liebl blieb stur, bis zur Abschiebung.
Die Geschichte von Gerson Liebl beginnt im togolesischen Aného. Dort, im deutschen Schutzgebiet an der Küste Westafrikas, arbeitet vor 101 Jahren der junge Straubinger Arzt Dr. Fritz Liebl in einer Tropenklinik. Der 28-jährige Bayer ist Gersons Großvater. Fritz Liebl verliebt sich schon im ersten Jahr seines Afrika-Aufenthalts in die einheimische Häuptlingstochter Kokoé Edith Ajavon und heiratet sie. Ihr Vater, der Stammesfürst von Aného, nimmt die Trauung nach Stammesbräuchen vor. Der Häuptling fungiert dabei als kaiserlicher Standesbeamter, so bescheinigen es die togolesischen Behörden später. Im Jahr 1910 bekommt das junge Paar einen Sohn, Johann. Ein Jahr später kehrt Fritz Liebl nach Deutschland zurück - allein.
Gerson Liebl ist der Enkel von Fritz Liebl. 1992 siedelt der gelernte Goldschmied nach Deutschland über, lässt sich zunächst in Pirmasens nieder und beantragt die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie wird ihm verwehrt. Solange Liebl keinen kaiserlichen Stempel auftreiben kann, hat er kein Recht auf den deutschen Pass. Für die rheinland-pfälzischen Gerichte ist sein Vater Johann nur ein "nichtehelicher Abkömmling". Der Kolonialarzt Fritz Liebl hätte "vor einem zur Eheschließung ermächtigten Beamten" des Deutschen Reiches heiraten müssen, meinen die deutschen Richter.
Das kann nur so halb stimmen. Denn Gerson Liebls Bruder Rudolph geht in den 1990er-Jahren mit den Bescheinigungen seiner Herkunft und der Trauung seines Großvaters in die Hauptstadt Lomé zur deutschen Botschaft. Das Bundesverwaltungsamt schickt Rudolph 1996 einen Staatsangehörigkeitsausweis. Der aber wird ihm bald abgenommen. Es ist ein rechtswidriges Vorgehen, doch Rudolph versäumt die Widerspruchsfrist.
Sein Bruder Gerson Liebl klagt sich unterdessen in Deutschland durch alle Instanzen, um endlich als Deutscher anerkannt zu werden. Er heiratet Ginette, eine Togolesin, in Deutschland bekommen sie ein Kind, den mittlerweile achtjährigen Gergi. Er geht in eine deutsche Schule. Zwischenzeitlich kann Gerson Liebl als Gabelstapler-Fahrer in Straubing arbeiten. Dort, im früheren Heimatort der bayerischen Liebls, lebt die Familie - jedoch immer in einem wackligen Aufenthaltsstatus. Mit der Polizei hat Gerson Liebl nur ab und an zu tun. 1993 erhält er eine Geldstrafe, weil er ohne Führerschein Auto gefahren ist. 1996 wird ihm vorgeworfen, er habe drei Tuben Zahnpasta geklaut. Viel Geld zum Leben bleibt den Liebls nicht. Denn bis auf kurze Phasen in diesen 18 Jahren werden Gerson Liebl und seiner Familie weder Arbeitslosengeld noch Hartz-IV-Hilfe oder Kindergeld bewilligt.
Das zumindest erzählt Gerson Liebl, als er Ende vergangenen Jahres in die taz-Redaktion kommt, um seine Situation zu schildern. Die taz hatte im Jahr 2001 bereits über seinen Fall berichtet. Der Deutschtogolese ist ein präziser, freundlicher Mann. Konzentriert und sachlich schildert er das komplizierte aufenthaltsrechtliche Verfahren. Er würde einen guten Juristen abgeben. Sein mündliches Deutsch ist ordentlich - die schwierigen juristischen Bandwurm-Wörter kommen ihm selbstverständlich über die Lippen. Von einer drohenden Abschiebung ist noch keine Rede. Aber die Sache ist ihm dringend. Deshalb ist er nach Berlin gekommen, um in der Hauptstadt politisch Druck zu machen. Sein Sohn, den er von der Schule genommen hat, und seine Frau wohnen mit ihm bei einem Freund in Neukölln, vorübergehend.
Gerson Liebl hat die Kopien seiner seitenlangen Briefe an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dabei. Unter dem Aktenzeichen 8-PKTAb.3GL-6.02/2008 schildert er in etwas fehlerhaftem Deutsch sein Schicksal, bittet um Hilfe der Politiker. "Denn man misshandelt uns vorsätzlich und diskriminiert als wir Verbrecher oder Sklaven sind, aufgrund, dass wir um unsere Anerkennung auf das Abstammungsrecht kämpfen, mit der Bitte um Kenntnisnahme." Gerson Liebl verweist darauf, dass seine Familie und er in Togo "bedroht sind". Er selbst sei dort mehrmals inhaftiert worden. Er will jedoch nicht in ein Asylverfahren, er will Deutscher werden. Dabei geht es Gerson Liebl nicht nur um sich. Er fordert in seinem Brief an den Außenminister die "Aufhebung der rassistischen Ehe-Gesetzgebung des deutschen Kaiserreichs in der Schutzgebietszeit". In den früheren deutschen Kolonien Afrikas gebe es "nur etwa eintausend Personen", Nachkommen von Deutschen, für die eine Regelung gesucht werden müsste, argumentiert er: "Aus diese Gründen wird es höflich gebeten, diese Tatsache durch sämtliche Institutionen bearbeiten zu lassen, denn wir leben in der Höhle wegen diese politischen Hintergründen", schreibt er und verwechselt Hölle mit Höhle.
Im Dezember vergangenen Jahres betritt Gerson Liebl ein Jobcenter in Berlin-Lichtenberg. Er möchte Hartz IV beantragen. Doch als die Mitarbeiter seine Daten eingeben, stellen sie fest, dass die Ausländerbehörde seiner Heimatstadt Straubing schon nach ihm sucht. Noch im Jobcenter wird er festgenommen und kommt für Wochen in Abschiebehaft. Seine Frau beginnt einen Hungerstreik und beendet ihn erst nach langem Zureden. Gegen so viel Sturheit ist sie machtlos. Es ist nicht nur die Sturheit der bayerischen Behörden.
Dort will man den Liebls eine Brücke bauen. Es gibt im Aufenthaltsgesetz eine sogenannte Altfallregelung. Die Liebls müssten nur einen kurzen Antrag stellen und ihre Aufenthaltserlaubnis würde verlängert. Der Straubinger Oberbürgermeister Markus Pannermayr schreibt sogar persönlich einen Brief an Gerson Liebl. Er appelliere "an Ihre Einsicht und an Ihr Verantwortungsbewusstsein als Eltern", schreibt der Bürgermeister. Er schickt den Liebls auch drei fertig ausformulierte Anträge auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Nur noch das Datum und die Unterschriften fehlen. Doch Gerson Liebl will keine Almosen und keine freundlich gemeinten Angebote. Er will Deutscher sein.
Mehr könne er nicht machen, schreibt der Bürgermeister: "Diese Entscheidung wurde mehrfach gerichtlich in verschiedenen Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht überprüft und abschließend bestätigt." Liebl unterschreibt nicht.
Am Dienstag betritt er in München das Flugzeug nach Togo. Da hat er schon aufgehört, sich zu wehren. "Die Abschiebung lief problemlos", berichtet der Chef der Straubinger Ausländerbehörde, Martin Panten. "Herr Liebl war sehr kooperativ."
Evrim Baba, für die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, meint: "Liebl wollte sich sein Recht erkämpfen. Ich mache ihm das nicht zum Vorwurf." Baba hat in den letzten Wochen oft mit den Liebls gesprochen. Gerson Liebl war auf seiner Suche nach politischer Unterstützung auch in ihr Büro gekommen. Für Baba ist Liebl nicht an seiner eigenen Sturheit gescheitert, sondern am Festhalten der deutschen Behörden an überholten, rassistischen Gesetzen. Dort habe man auch einen Präzendenzfall verhindern wollen. "Die Behörden hatten Angst, dass dann die Menschen aus Afrika in Scharen kommen und sich auf ihre deutschen Großeltern berufen."
Doch für Ginette Liebl und ihren Sohn Gergi geht es nun um ganz andere Probleme. Wie Gerson droht auch ihnen die Abschiebung nach Togo. Ginette hat keinen togolesischen Pass. Gergi war sein ganzes Leben lang in Deutschland. Ihm gefällt es an seiner Berliner Schule. Die beiden wollen Gerson wieder in ihrer Nähe haben. Sie würden aber auch gerne hierbleiben. Noch könnte Ginette Liebl den Antrag des Straubinger Oberbürgermeisters einfach unterschreiben, gegen den sich ihr Mann so gewehrt hat. Aber sie zögert. "Ich habe zurzeit keine Ahnung, was ich tun soll", flüstert sie. Sie möchte warten. Vielleicht, hofft sie, ruft bald ihr Mann wieder an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen