Deutschlands Wehrhaftigkeit: Es wird wieder verweigert
Die Friedensgesellschaft spricht vom „Revival“, auch Influencer werben für die Verweigerung. Derweil sucht die Bundeswehr dringend Personal.

Deutschland soll wieder kriegsfähig werden: Die neue Bundesregierung setzt dafür nicht nur auf weitere Aufrüstung der Bundeswehr, sondern plant auch einen „attraktiven Wehrdienst“, der laut Koalitionsvertrag „zunächst auf Freiwilligkeit basiert“. Dagegen regt sich nun Widerstand. Über die Ostertage posteten verschiedene Influencer:innen Videos auf Social Media, in denen sie für Kriegsdienstverweigerung werben.
„Die Militarisierung findet statt, medial wird sie stark unterstützt“, sagt der Autor und Podcaster Wolfgang M. Schmitt der taz, der die Kampagne unterstützt. Das zeige sich an der Aufrüstung ebenso wie an der Forderung nach „Kriegstüchtigkeit“, die „von rechts bis linksliberal“ geäußert werde. „Da hilft es, früh Nein zu sagen.“ Er und sein Podcast-Kollege Ole Nymoen, der mit seinem Buch zur Kriegsverweigerung durch die Talkshows gereicht wurde, aber auch junge Aktivist:innen und ein Comedian erklären, warum sie im Ernstfall nicht für Deutschland dienen würden. Gleichzeitig verweisen sie auf eine neue Informationsseite der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK).
Die Organisation klärt seit Ende Februar auf der Seite verweigern.info über die Möglichkeiten der Kriegsdienstverweigerung auf. Allen Männern, die zwischen 18 und 60 Jahre alt sind, bereits gemustert und als „tauglich“ befunden wurden, wird geraten, einen Antrag auf Verweigerung einzureichen – und erklärt, wie das geht. Männer, die noch nicht gemustert wurden, sollten dagegen keinen Antrag stellen, um nicht auf dem „Radar“ der Bundeswehr zu erscheinen. Die obligatorische Musterung in Deutschland wurde 2011 im Zuge der Aussetzung der Wehrpflicht eingestellt.
Die Kampagne und der wieder aufflammende Diskurs rund um die Wehrpflicht verschaffen der Friedensgesellschaft neuen Auftrieb, der politische Geschäftsführer spricht gar von einem „Revival“. „Allein seit Anfang April wurde die Seite über 100.000 Mal aufgerufen“, sagte Michael Schulze von Glaßer, politischer Geschäftsführer der Friedensgesellschaft, der taz. Auch die Mitgliederzahl der Organisation sei in den vergangenen Monaten angestiegen. Die Anfragenden seien oft junge Männer, so Schulze von Glaßer. Aber auch Eltern würden sich melden, die sich Sorgen machten, dass ihre Kinder künftig eingezogen werden könnten.
Den Trend zu mehr Verweigerungsanträgen bestätigt auch die Bundeswehr. Wie sie auf Anfrage der taz mitteilt, gab es in den vergangenen Jahren einen großen Anstieg an eingegangenen Verweigerungsanträgen, besonders von Reservist:innen und Personen, die noch nicht gedient haben. Während 2021 insgesamt 209 Anträge eingeschickt wurden, waren es 2024 knapp 3.000.
Wie viele allein in diesem Jahr bereits eingegangen sind, ist nicht bekannt, da die Bundeswehr die Zahlen nur jährlich erhebt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine YouGov-Umfrage von Anfang März, laut der 61 Prozent der 18- bis 29-jährigen Deutschen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ablehnen.
Doch wie berechtigt ist die Sorge vor einer Rückkehr zur Wehrpflicht? Die Union hatte im Wahlkampf angekündigt, die Wehrpflicht wieder einführen zu wollen. Davon ist im Koalitionsvertrag so explizit nicht mehr die Rede. Zunächst soll das schwedische Modell eingeführt werden, was bedeuten würde, dass zunächst alle 18-jährigen Männer in Zukunft einen Fragebogen ausfüllen müssten, der Angaben zu Fitness, Gesundheit und Motivation abfragt. Der Wehrdienst selbst bliebe freiwillig.
Man gehe davon aus, dass dieses Modell ausreiche, um genügend Personal für die Bundeswehr zu rekrutieren, heißt es aus Fraktionskreisen der SPD. Die Debatte um Kriegsverweigerung wird deshalb als „vollkommen verfrüht“ kommentiert. Es werde auch langfristig die Möglichkeit geben, zu verweigern.
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