Deutschlandradio-Chef über Wortprogramm: „Ich habe keine Scheu vor Konkurrenz“
Deutschlandradio-Intendant Willi Steul über die geplanten Reformen, den Verlust der Musik im Nachtprogramm und den Radioretter-Appell.
taz: Herr Steul, Sie wollen dem Deutschlandfunk (DLF) ab 2013 die „Wortnacht“ verordnen – es soll in den Nachtstunden nur Wortprogramm geben, die Musik, wie sie heute dort läuft, muss weichen. Warum?
Willi Steul: Schauen Sie sich das Programmumfeld an: Sie haben Klassik in der ARD-Nacht, Klassik im DLF – und ebenfalls gehobene Musik im DKultur. Da ist ein Wortprogramm schlicht die klare Alternative.
Der Deutsche Musikrat hat gegen die Vertreibung der kleinen Nachtmusik scharf protestiert.
Das war eine pawlowsche Reaktion: Stimmt – wir verdrängen damit einen Teil unseres Musikprogramms, aber der zweite Teil des Auftrags lautet klar, dies mit Blick auf alle drei Programme zu kompensieren, möglichst auch zu besseren Zeiten als im Nachtprogramm. Ich will außerdem feste Plätze für unsere Orchester und Chöre in der Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH Berlin, deren Hauptgesellschafter wir sind.
Sie haben zudem eine komplementäre Ausrichtung von Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur angekündigt. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Bislang waren beide Programme längst nicht überall parallel zu hören. Das ändert sich nun durch Digitalradio und Internet. Jetzt müssen wir eine Art „Reißverschlussprogrammierung“ hinbekommen: Es darf in unseren Kanälen nie zur selben Zeit dasselbe Genre – also zum Beispiel Hörspiel oder Klassik – laufen.
61, war Nahost- und Afghanistankorrespondent für die ARD und ab 1998 stellvertretender Intendant des SWR. Seit 2009 ist er Intendant des Deutschlandradios, wo er bereits 1994 bis 1998 als Chefredakteur arbeitete.
Um ein anderes Kulturradio – WDR 3 vom WDR – wird wegen der dort geplanten Reformen erbittert gestritten. Haben sich die „Radioretter“ schon für die Wortnacht interessiert? Oder sind die noch vollauf mit dem WDR beschäftigt?
Dort geht es ja um den – unbewiesenen – Vorwurf, der WDR gebe seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag auf. Das kann man uns nicht unterstellen. Das Gegenteil ist der Fall.
Eigentlich müssten Ihnen die „Radioretter“, die für ihren Protest in Sachen WDR 3 über 18.000 Unterschriften gesammelt haben, sympathisch sein. Sie beweisen schließlich, dass Radio die Menschen alles andere als kaltlässt.
Ich bin da hin- und hergerissen. Wir müssen uns zunehmend legitimieren – da gehört die öffentliche Diskussion dazu. Sie zeigt, dass Radio lebt. Nur: Von den 18.000 Unterzeichnern des Radioretter-Appells wissen vielleicht gerade mal 1.200, worum es wirklich geht. Der Rest ist, verkürzt, Furcht, Sorge. Eine Bewegung wie die Radioretter ist schwierig, aber damit setzen wir uns auseinander, das tut jetzt auch der WDR in öffentlichen Diskussionen.
Ein Argument der „Radioretter“ ist, dass die WDR-Führung Mitarbeiter wie Gremien zu spät eingebunden und vor vollendete Tatsachen gestellt hat …
Haben Sie Verständnis, dass ich inhaltlich zum WDR nichts sage. Unsere Gremien sind seit einem Jahr in die Überlegungen eingebunden, es gibt eine eigene Arbeitsgruppe Strategie. Der Hörfunkrat des Deutschlandradios wird nicht überraschend mit Plänen konfrontiert, er ist informiert.
Befürchten Sie nicht, dass irgendwann einmal die Frage gestellt wird, ob man den Deutschlandfunk braucht, wenn alle Landesrundfunkanstalten der ARD ebenfalls Informations- und Kulturkanäle haben, die per Internet überall zu empfangen sind?
Die Diskussion müssen wir nicht führen. Unser Auftrag ist nationaler Hörfunk. Und im Begriff „Landesrundfunkanstalt“ bildet sich auch deren Auftrag ganz klar ab, die Kultur ihrer Länder abzubilden. Auch als ich noch beim SWR und damit in der ARD Direktor war, habe ich Deutschlandradio immer als komplementäre Veranstaltung gesehen, nicht als einen Gegner. Gut, im Internet sind sie alle. Aber ich habe auch keine Scheu vor Konkurrenz – unsere Programme sind nämlich verdammt gut, und Vielfalt ist ein Gewinn für die Hörer.
Apropos „verdammt gut“: Wer sucht beim DLF für die „Politik am Morgen“ diese Fahrstuhlmusik aus? Das ist doch Menschenrechtsverletzung – kann der Intendant da nicht mal den Hammer fallen lassen?
Da verweigere ich die Aussage. Aber bleiben Sie mal optimistisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt