Deutschland ist (fast) tollwutfrei: Füchse hui, Fledermäuse pfui
Den Impfungen sei Dank: Seit zwei Jahren ist hierzulande kein Fuchs mehr an Tollwut erkrankt. Die Gefahr für den Menschen ist aber nicht gebannt - auch Fledermäuse sind Überträger.
25 Jahre hat es gedauert, aber jetzt scheint Deutschland endlich tollwutfrei zu sein: Vor mehr als zwei Jahren - am letzten Februar 2006 - erkrankte zum letzten Mal ein Fuchs an Tollwut. Damit kann sich Deutschland mit einem neuen Status schmücken: Gemäß den Richtlinien der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) gilt es als tollwutfrei.
Die Tollwut ist eine der gefährlichsten Infektionserkrankungen für den Menschen, die beinahe immer tödlich verläuft. Die wenigen Überlebenden haben schwerste Gehirnschäden davongetragen.
In Deutschland war der erfolgreiche Kampf gegen die Tollwut schwer: Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts infizierten sich die Deutschen an ihren Haustieren, zumeist am Hund. Durch strenge Quarantäne, Maulkorbzwang und Kontrolle von streunenden Tieren gelang es, die Tollwut in den Griff zu bekommen. Doch gegen Ende des Zweiten Weltkriegs erkrankten Füchse in Ostpreußen an Tollwut und die Seuche breitete sich rasch gen Westen aus.
Bereits 1951 entdeckte man die ersten tollwütigen Füchse in Bayern und bis zur Mitte der 1970er-Jahre trat die Fuchstollwut in nahezu ganz Mitteleuropa auf. Zunächst setzte man im Kampf gegen die Fuchstollwut radikale Maßnahmen ein: Möglichst viele Füchse sollten durch Giftköder, Fallen, Bejagung und Fuchsbaubegasung getötet werden. Diese aus Naturschutzgründen bedenklichen Verfahren waren jedoch wenig erfolgreich.
Erst mit der großflächigen Impfung von Füchsen gelang der Durchbruch. 1983 begannen die Bundesländer Bayern und Hessen in einem ersten Feldversuch damit, Füchse gegen die Tollwut zu impfen. Als Köder wurden Hühnerköpfe ausgelegt, in denen eine Kapsel mit Impfstoff versteckt war. Dieser Impfstoff enthielt abgeschwächte Tollwutviren. Schluckt ein Fuchs diesen Impfstoff, bildet das Tier schützende Immunzellen, die es vor einer Erkrankung bewahren.
Der Impfstoff wurde verbessert und in einen maschinell herstellbaren Köder aus Fischmehl und Fett gesteckt. Von 1985 an warfen Flugzeuge in allen Bundesländern diese Köder ab. So gelang es, die Tollwut in den Griff zu bekommen. Vereinzelt traten jedoch Erkrankungen auf. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich hierbei um "importierte Fälle" gehandelt hat, bei denen sich die Erkrankten bei einer Urlaubsreise infizierten. Gefährlich sind weiterhin Reisen in afrikanische Länder, nach Südamerika, Indien und Südostasien, aber auch nach Osteuropa oder in die Türkei.
Wer im Urlaub von einem Hund oder einer Katze gebissen wird, sollte als Erstes die Wunde gut reinigen. Bereits dieser Schritt kann die Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs der Erkrankung um bis zu 90 Prozent verringern - Seife, Detergenzien, reichlich mit Wasser spülen, danach mit hochprozentiger Alkohollösung oder Ähnlichem versorgen. Als Nächstes sollte der Gebissene sofort einen Arzt aufsuchen. Eine möglichst rasche nachträgliche Impfung verhindert zumeist den Ausbruch der Krankheit. Hierbei spritzt der Arzt schützende Antikörper, die die Tollwutviren vernichten. Zudem erhält der Patient abgetötete Tollwutviren. Sie können keine Tollwut mehr auslösen, bringen jedoch den Organismus dazu, selbst Antikörper gegen die gefährlichen Viren zu bilden, und verhindern so einen Ausbruch der Erkrankung.
Auch Fledermäuse können Tollwut übertragen. Die Fledermaustollwut kommt auch in Ländern vor - zum Beispiel in Deutschland -, die gemäß OIE "tollwutfrei" sind. Die OIE berücksichtigt in Bezug auf die Tollwut nämlich nur Tiere, die nicht fliegen können. Im Gegensatz hierzu gilt nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Land nicht mehr als tollwutfrei, wenn tollwütige Fledermäuse gefunden wurden.
Wie die klassischen Tollwutviren sind die Erreger Lyssa-Viren und eng mit den herkömmlichen Erregern verwandt. Sie können durch einen Biss übertragen werden. Da Fledermäuse über 800 Kilometer fliegen können, ist eine Verbreitung der Erkrankung über weite Gebiete möglich.
Zwischen 1954 und 2007 wurden europaweit insgesamt 831 tollwütige Fledermäuse entdeckt. Deutschland ist eines der Länder mit den meisten nachgewiesenen Fällen von Fledermaustollwut. Insbesondere in Norddeutschland hat sie sich während der letzten Jahre ausgebreitet. Dies scheint damit zusammenzuhängen, dass dort die Breitflügelfledermaus relativ oft vorkommt. Verglichen mit anderen Fledermausarten, wurde bei ihr am häufigsten die Tollwut nachgewiesen: Über 95 Prozent der infizierten Tiere waren Breitflügelfledermäuse.
Alle in Europa vorkommenden Fledermäuse fressen Insekten. "Vampire", das heißt blutsaugende Fledermäuse, gibt es hierzulande nicht. Es stellt sich daher die Frage, ob eine tollwütige europäische Fledermaus für Tier und Mensch überhaupt gefährlich sein kann. Zwar sind Übertragungen von Fledermaustollwut auf Tier und Mensch in Europa offenbar selten - aber nicht unmöglich. So starb vor kurzem ein 56-jähriger Brite an Fledermaustollwut. Eine Ansteckung war bei Tieren schon vorher nachgewiesen worden - beispielsweise bei dänischen Schafen. In Deutschland wurde im Jahr 2001 das erste infizierte Tier entdeckt - ein Steinmarder.
Menschen können sich vor einer Ansteckung schützen, indem sie Fledermäuse nicht mit bloßen Händen anfassen. Eine Übertragung durch Kot, Urin oder über die Luft kann nach Aussage von Thomas Müller vom Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems ausgeschlossen werden. Kommt es doch zu einem direkten Kontakt mit einer Fledermaus, sollte man unverzüglich zum Arzt gehen und sich nachträglich impfen lassen. Die derzeit verfügbaren Tollwutimpfstoffe wehren auch zuverlässig Fledermaustollwutviren ab.
Für Personen, die regelmäßig Kontakt zu Fledermäusen haben, wird eine vorbeugende Impfung empfohlen. Die entspricht den Richtlinien der WHO, denn Fledermaustollwut ist für den Menschen genauso gefährlich wie die klassische Fuchstollwut. In den USA ist die Mehrzahl menschlicher Tollwutfälle in den letzten Jahren durch Fledermäuse verursacht worden.
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