Deutschland disst die Steuerhinterzieher: Die Stunde der Moralisten
Neben Josef Ackermann redet nun auch die Kanzlerin der Wirtschaftselite ins Gewissen. Der Tenor: "Manager sollten Vorbilder sein!"
Deutschland ist empört - und freut sich. Gar nicht klammheimlich, sondern mit der unverhohlenen Häme, die nur auf dem Humus der reinen Schadenfreude gedeiht. Endlich, endlich hat es einen von ganz oben erwischt! Und wie schön noch dazu die Aussicht, der beim Volkssport Steuerhinterziehung ertappte Herr Zumwinkel bilde nur die weltberühmte "Spitze des Eisbergs". "Wir haben richtig dicke Fische an der Angel" wird aus "Ermittlerkreisen" zitiert.
Wie immer dieses Wettangeln im kalten Wasser ausgehen wird, eines ist jetzt schon klar: Die Gewinner sind nicht nur die Steuerbehörden und die Stammtischschwadroneure, die nun Gelegenheit haben, das zu Recht gefürchtete Ressentiment des "kleinen Mannes" in die Umlaufbahn zu bringen. Die wirklichen Profiteure des Steuerskandals sind die plötzlich aus allen Ecken hervorquellenden Moralisten, die, wie Herr Ackermann gestern in Deutschlands moralischster Zeitung, Bild, diesmal ausnahmsweise nur einen Finger heben - mahnend, doch sein stiller Triumph ist womöglich größer als beim Victory-Zeichen.
Groß ist freilich auch der negative Affekt hinter der Mahnung: Niemand erntet unter Tricksern mehr Verachtung als derjenige, der gegen das elfte Gebot verstößt: Du sollst dich nicht erwischen lassen! Für die Öffentlichkeit ist Klaus Zumwinkel erst einmal gestorben. Fürs Erste, denn kein Verbrechen verjährt gesellschaftlich schneller als Steuerbetrug. Das Wort "Steuersünder" macht es deutlich. Sind wir nicht alle kleine Sünderlein? So gesehen muss man den Ertappten sogar dankbar sein. Der Chef der Deutschen Bank zeigt mit psychologischem Feingefühl, warum. "Wir dürfen nicht zulassen, dass individuelles Fehlverhalten verallgemeinert und unserer Wirtschaftsordnung angelastet wird, auch um damit von eigenen Fehlern ablenken zu wollen", äußert er im Interview. Er benennt damit den Mechanismus, der uns im Moment alle zu kleinen Siegern macht. Das Gesamtbild der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft strahlt in umso leuchtenderen Farben, wenn als kleiner Schmutzfleck "individuelles Fehlverhalten" geahndet wird. Nichts erlaubt so sehr, von eigenen Fehlern abzulenken, wie der ertappte Sünder. Sauberkeit ist schließlich immer eine Frage des Kontrasts.
Dabei ist es doch kein Geheimnis, dass wir alle jede Gelegenheit nutzen, die lästigen Steuern möglichst gering zu halten. Nicht immer nur mit erlaubten Mitteln. Ebenso offenkundig ist, dass sich die ganz legalen Steuertricks mit der Höhe des Einkommens exponentiell vermehren. Die Zumwinkels schaffen also allenthalben Entlastung - und Raum für moralische Töne just auf dem Feld, auf dem kaum jemand wirklich guten Gewissens die Hand zum Schwur auf seine weiße Weste heben würde. Wie weitgehend die latente Schuldvermutung gegen allen ist, bewies ungewollt ausgerechnet Die Welt: Ackermanns Statement, dass es "für gute Arbeit gutes Geld geben" müsse und Steuerhinterziehung tabu sei, kommentierte das Blatt mit dem ridikülen Satz: "Josef Ackermann distanzierte sich deutlich von jeder Art von Steuerhinterziehung." Hatten Sie anderes erwartet?
Ein weiterer Punkt, der für Aufregung sorgt, ist die Tatsache, dass es einer wie Klaus Zumwinkel, immerhin geborener Multimillionär, für notwendig gehalten hat, sich auf dem Weg des Betrugs zu bereichern. Sein Verhalten ist nicht nur ein Beleg für die Selbstverständlichkeit, mit der Steuerverbrechen als Kavaliersdelikte behandelt werden, sondern wohl auch ein Indiz dafür, dass sich Deutschlands Topmanager ausgebeutet und unterbewertet fühlen. Tatsächlich. Denn ab einer bestimmten Einkommensklasse geht es nicht mehr darum, wie viel man sich leisten kann. Bei den Führungskräften der Wirtschaft ist das Salär Ausdruck des gesellschaftlichen Rangs, an ihm wird der persönliche Selbstwert gemessen. Und zwar eben nicht im Vergleich mit "normalen" Mitarbeitern oder auch nur im nationalen Maßstab. Wer jemals einen der deutschen Wirtschaftslenker sein Leid hat klagen hören, wie schmal und ungerecht ihre Entlohnung, gemessen an US-amerikanischen Verhältnissen, sei, weiß, wovon ich rede. Angesichts solch himmelschreienden Unrechts ist die kleine Korrektur bei der Steuer nicht nur fast schon legal, sondern zutiefst legitim. Schließlich geht es ja um das, was einem zusteht: durchaus eine Identitätsfrage.
Die wird sich Klaus Zumwinkel nun im Ruhestand stellen müssen. Bei 89.250 Euro Pension im Monat.
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