Debatte Steuerhinterziehung: Steuerfahndung leicht gemacht
Die deutsche Politik hat Steuerhinterziehung bisher kaum bekämpft. Dabei könnte sie Steueroasen auf eine schwarze Liste setzen oder Informationen von Kreditkarten nutzen.
"Neue Asoziale", "Erschütterung des Gesellschaftssystems", "empörend" - mit starken Worten geißeln die Politiker den Steuersünder und Ex-Post-Chef Zumwinkel. Diese Litanei der Anklage ist aber unglaubwürdig, denn sie lenkt von den eigenen Versäumnissen ab. Weder die rot-grüne Bundesregierung noch die große Koalition haben die Steuerflucht systematisch bekämpft. Vor allem außenpolitisch wurde der Konflikt mit den Steueroasen vermieden. Stattdessen exekutierten die Bundesregierungen den scheinbaren Sachzwang immer niedrigerer Steuern auf Zinsen, Dividenden und Unternehmensgewinne. Wachsende Ungleichheit und höhere Steuern für ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen sind die Folge.
Auf internationaler Ebene versteckt sich die Bundesregierung seit Jahren hinter unwirksamen Maßnahmen der EU und OECD gegen Steueroasen und unfaire Steuerpraktiken. Die EU-Zinsrichtlinie sollte die Steuerhinterziehung von Privatpersonen erschweren. Seit 2005 sind Banken verpflichtet, gezahlte Zinsen an die Heimatfinanzämter von EU-BürgerInnen zu melden. Österreich, Luxemburg und Belgien setzten eine Sonderbehandlung durch. Sie erheben eine Quellensteuer von 15 Prozent, die bis 2011 auf 35 Prozent ansteigen wird. Von den Erträgen erhalten die Heimatfinanzämter anonymisiert 75 Prozent überwiesen. Die ersten Überweisungen aus den Oasenländern erwiesen sich jedoch als kläglich im Vergleich zu jenen 300 Milliarden Euro, die Deutsche dort angelegt haben. Aus der Schweiz flossen im ersten Halbjahr 2006 lediglich 15 Millionen Euro nach Deutschland. Durch viele Ausnahmen ist die Zinsrichtlinie löchrig wie ein Schweizer Käse. Sie muss dringend erweitert werden auf alle Kapitaleinkommen und auch auf Unternehmen, Trusts und Stiftungen. EU-Steuerkommissar Kovács hat bereits ähnliche Vorschlage gemacht.
Zur Bekämpfung des ausufernden Steuerwettbewerbs zwischen den europäischen Ländern hat die EU eine Initiative gegen unfairen Steuerwettbewerb gestartet. In diesem Rahmen wurden zahlreiche Steuersubventionen beseitigt, bei denen EU-Länder ausländische Unternehmen gegenüber inländischen begünstigten. Nun müssen alle Firmen gleich behandelt werden. Allerdings reagierten die Oasenländer schnell: Estland senkte einfach den Unternehmenssteuersatz auf 0 Prozent, ebenso die Kanalinseln; Irland ging auf magere 12,5 Prozent und viele andere EU-Länder schließen sich dieser Konkurrenz nach unten an. Deshalb fordern einige EU-Länder schon lange einheitliche Mindeststeuersätze. Dem verweigern sich die europäischen Oasenländer. Die geschädigten Staaten lassen sich dies bisher, teils murrend, gefallen.
Die Steueroasen sind offenkundig nicht bereit, ihre unfairen Privilegien aufzugeben. Ohne ein Ende des ruinösen internationalen Steuersenkungswettlaufs sind Kapitaleinkommen aber nicht mehr auf gerechtem Niveau zu besteuern. Daher darf die Bundesregierung nicht länger auf einen Konsens in EU und OECD warten. Mit möglichst vielen Ländern muss bi- und multilateral ein automatischer steuerlicher Informationsaustausch über Grenzen hinweg vereinbart werden. Kapitaleinkünfte wie auch Unternehmensbeteiligungen im Ausland müssen automatisch dem Heimatland gemeldet werden.
Wenn sich Staaten einem solchen Informationsaustausch verweigern, sollten sie auf einer schwarzen Liste der Steueroasen landen. Diese Länder hätten dann mit Sanktionen zu rechnen: Alle Geschäfte mit ihnen müssten gemeldet werden, handelspolitische Vorteile würden wieder aufgehoben und der Kapitalverkehr eingeschränkt. Für die Steueroasen wären die Folgen gravierend. Wenn man etwa keine normalen Überweisungen mehr mit ihnen tätigen kann, dann wären diese Länder, was kein Finanzplatz sein will: anrüchig. Eine solche schwarze Liste wäre mit anderen Staaten gemeinsam einzuführen. Dieses Vorgehen ist gegenüber Nicht-EU-Steueroasen wie Liechtenstein, Singapur, den Kanalinseln und Kaiman-Inseln nur eine Frage des politischen Willens.
In der EU gestaltet sich dies schwieriger. Denn der freie Kapital- und Warenverkehr ist durch die EU-Verträge garantiert. Innerhalb der EU brauchen wir gemeinsame Mindeststeuersätze und Standards für die Steuerbemessungsgrundlagen, die nur im Konsens beschließbar sind. Die Bundesregierung sollte hier eine Doppelstrategie verfolgen. Zum einen sollten die Maßnahmen mit einer Koalition williger EU-Länder eingeführt werden, auch wenn andere Länder sich noch weigern. Zum anderen sollten diese gemeinsamen steuerlichen Regeln zu einem zentralen Punkt in zukünftigen EU-Verhandlungen gemacht werden. Während es im Interesse deutscher Bauern, Auto- und Chemiekonzerne große Konfliktbereitschaft auf EU-Ebene gibt, fehlt dies bei der Sicherung der steuerlichen Grundlagen. Ein sozialer Ausgleich zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern ist jedoch nur über Steuern möglich - daher muss es zu einem zentralen Ziel der Außenpolitik werden, die Finanzausstattung des Staates zu sichern. Dazu muss die Bundesregierung den Konflikt mit den Steueroasen und auf EU-Ebene eingehen.
Auch im Inland bestehen zahlreiche Möglichkeiten, um die Steuerflucht einzudämmen. Das Engagement des BND hierbei ist zu begrüßen. Wenn Politiker jedoch jetzt fordern, die Höchststrafen für Steuerhinterziehung anzuheben, dann führt das nicht weit. Denn bei der Steuerfahndung fehlt das Personal, um die Steuersünder überhaupt aufzuspüren. Dabei würde jeder zusätzliche Beamte rund 1,5 Millionen Euro für den Staat einnehmen.
Zudem muss das steuerliche Bankgeheimnis gelockert werden, so dass Kapitaltransfers ins Ausland systematisch überprüft werden können, ohne dass erst ein Anfangsverdacht vorliegen muss. International verflochtene Unternehmen wiederum müssten verpflichtet werden, ihre Firmenstruktur samt Tochterfirmen mit ausgewiesenen Gewinnen und gezahlten Steuern öffentlich zu machen. "Whistleblower", die Tipps über Steuerbetrug in Unternehmen geben, müssen vor Diskriminierungen am Arbeitsplatz gesetzlich geschützt werden. Schließlich könnten wir von Australien lernen: Dort werden die Daten von Kreditkarten aus Steueroasen genutzt, um Steuerflüchtlingen auf die Schliche zu kommen.
Erst wenn ernsthafte Maßnahmen gegen Steuerflucht ergriffen werden, sind die Empörungsbekundungen der PolitikerInnen glaubwürdig. Für ein solches Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Steuerflucht müssen sich viele PolitikerInnen jedoch mit ihren FreundInnen in Wirtschaftsverbänden und Konzernen anlegen. Bislang schien es bequemer, die Mehrwertsteuer zu erhöhen und die Steuern auf Kapitaleinkommen zu senken. Es wird vom Druck der Zivilgesellschaft, von engagierten PolitikerInnen und Druck aus den Medien abhängen, ob die Empörung über die zunehmende Ungleichheit sich in gerechte Steuerpolitik übersetzt.
SVEN GIEGOLD
Debatte Steuerhinterziehung: Steuerfahndung leicht gemacht
Die deutsche Politik hat Steuerhinterziehung bisher kaum bekämpft. Dabei könnte sie Steueroasen auf eine schwarze Liste setzen oder Informationen von Kreditkarten nutzen.
"Neue Asoziale", "Erschütterung des Gesellschaftssystems", "empörend" - mit starken Worten geißeln die Politiker den Steuersünder und Ex-Post-Chef Zumwinkel. Diese Litanei der Anklage ist aber unglaubwürdig, denn sie lenkt von den eigenen Versäumnissen ab. Weder die rot-grüne Bundesregierung noch die große Koalition haben die Steuerflucht systematisch bekämpft. Vor allem außenpolitisch wurde der Konflikt mit den Steueroasen vermieden. Stattdessen exekutierten die Bundesregierungen den scheinbaren Sachzwang immer niedrigerer Steuern auf Zinsen, Dividenden und Unternehmensgewinne. Wachsende Ungleichheit und höhere Steuern für ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen sind die Folge.
Auf internationaler Ebene versteckt sich die Bundesregierung seit Jahren hinter unwirksamen Maßnahmen der EU und OECD gegen Steueroasen und unfaire Steuerpraktiken. Die EU-Zinsrichtlinie sollte die Steuerhinterziehung von Privatpersonen erschweren. Seit 2005 sind Banken verpflichtet, gezahlte Zinsen an die Heimatfinanzämter von EU-BürgerInnen zu melden. Österreich, Luxemburg und Belgien setzten eine Sonderbehandlung durch. Sie erheben eine Quellensteuer von 15 Prozent, die bis 2011 auf 35 Prozent ansteigen wird. Von den Erträgen erhalten die Heimatfinanzämter anonymisiert 75 Prozent überwiesen. Die ersten Überweisungen aus den Oasenländern erwiesen sich jedoch als kläglich im Vergleich zu jenen 300 Milliarden Euro, die Deutsche dort angelegt haben. Aus der Schweiz flossen im ersten Halbjahr 2006 lediglich 15 Millionen Euro nach Deutschland. Durch viele Ausnahmen ist die Zinsrichtlinie löchrig wie ein Schweizer Käse. Sie muss dringend erweitert werden auf alle Kapitaleinkommen und auch auf Unternehmen, Trusts und Stiftungen. EU-Steuerkommissar Kovács hat bereits ähnliche Vorschlage gemacht.
Zur Bekämpfung des ausufernden Steuerwettbewerbs zwischen den europäischen Ländern hat die EU eine Initiative gegen unfairen Steuerwettbewerb gestartet. In diesem Rahmen wurden zahlreiche Steuersubventionen beseitigt, bei denen EU-Länder ausländische Unternehmen gegenüber inländischen begünstigten. Nun müssen alle Firmen gleich behandelt werden. Allerdings reagierten die Oasenländer schnell: Estland senkte einfach den Unternehmenssteuersatz auf 0 Prozent, ebenso die Kanalinseln; Irland ging auf magere 12,5 Prozent und viele andere EU-Länder schließen sich dieser Konkurrenz nach unten an. Deshalb fordern einige EU-Länder schon lange einheitliche Mindeststeuersätze. Dem verweigern sich die europäischen Oasenländer. Die geschädigten Staaten lassen sich dies bisher, teils murrend, gefallen.
Die Steueroasen sind offenkundig nicht bereit, ihre unfairen Privilegien aufzugeben. Ohne ein Ende des ruinösen internationalen Steuersenkungswettlaufs sind Kapitaleinkommen aber nicht mehr auf gerechtem Niveau zu besteuern. Daher darf die Bundesregierung nicht länger auf einen Konsens in EU und OECD warten. Mit möglichst vielen Ländern muss bi- und multilateral ein automatischer steuerlicher Informationsaustausch über Grenzen hinweg vereinbart werden. Kapitaleinkünfte wie auch Unternehmensbeteiligungen im Ausland müssen automatisch dem Heimatland gemeldet werden.
Wenn sich Staaten einem solchen Informationsaustausch verweigern, sollten sie auf einer schwarzen Liste der Steueroasen landen. Diese Länder hätten dann mit Sanktionen zu rechnen: Alle Geschäfte mit ihnen müssten gemeldet werden, handelspolitische Vorteile würden wieder aufgehoben und der Kapitalverkehr eingeschränkt. Für die Steueroasen wären die Folgen gravierend. Wenn man etwa keine normalen Überweisungen mehr mit ihnen tätigen kann, dann wären diese Länder, was kein Finanzplatz sein will: anrüchig. Eine solche schwarze Liste wäre mit anderen Staaten gemeinsam einzuführen. Dieses Vorgehen ist gegenüber Nicht-EU-Steueroasen wie Liechtenstein, Singapur, den Kanalinseln und Kaiman-Inseln nur eine Frage des politischen Willens.
In der EU gestaltet sich dies schwieriger. Denn der freie Kapital- und Warenverkehr ist durch die EU-Verträge garantiert. Innerhalb der EU brauchen wir gemeinsame Mindeststeuersätze und Standards für die Steuerbemessungsgrundlagen, die nur im Konsens beschließbar sind. Die Bundesregierung sollte hier eine Doppelstrategie verfolgen. Zum einen sollten die Maßnahmen mit einer Koalition williger EU-Länder eingeführt werden, auch wenn andere Länder sich noch weigern. Zum anderen sollten diese gemeinsamen steuerlichen Regeln zu einem zentralen Punkt in zukünftigen EU-Verhandlungen gemacht werden. Während es im Interesse deutscher Bauern, Auto- und Chemiekonzerne große Konfliktbereitschaft auf EU-Ebene gibt, fehlt dies bei der Sicherung der steuerlichen Grundlagen. Ein sozialer Ausgleich zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern ist jedoch nur über Steuern möglich - daher muss es zu einem zentralen Ziel der Außenpolitik werden, die Finanzausstattung des Staates zu sichern. Dazu muss die Bundesregierung den Konflikt mit den Steueroasen und auf EU-Ebene eingehen.
Auch im Inland bestehen zahlreiche Möglichkeiten, um die Steuerflucht einzudämmen. Das Engagement des BND hierbei ist zu begrüßen. Wenn Politiker jedoch jetzt fordern, die Höchststrafen für Steuerhinterziehung anzuheben, dann führt das nicht weit. Denn bei der Steuerfahndung fehlt das Personal, um die Steuersünder überhaupt aufzuspüren. Dabei würde jeder zusätzliche Beamte rund 1,5 Millionen Euro für den Staat einnehmen.
Zudem muss das steuerliche Bankgeheimnis gelockert werden, so dass Kapitaltransfers ins Ausland systematisch überprüft werden können, ohne dass erst ein Anfangsverdacht vorliegen muss. International verflochtene Unternehmen wiederum müssten verpflichtet werden, ihre Firmenstruktur samt Tochterfirmen mit ausgewiesenen Gewinnen und gezahlten Steuern öffentlich zu machen. "Whistleblower", die Tipps über Steuerbetrug in Unternehmen geben, müssen vor Diskriminierungen am Arbeitsplatz gesetzlich geschützt werden. Schließlich könnten wir von Australien lernen: Dort werden die Daten von Kreditkarten aus Steueroasen genutzt, um Steuerflüchtlingen auf die Schliche zu kommen.
Erst wenn ernsthafte Maßnahmen gegen Steuerflucht ergriffen werden, sind die Empörungsbekundungen der PolitikerInnen glaubwürdig. Für ein solches Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Steuerflucht müssen sich viele PolitikerInnen jedoch mit ihren FreundInnen in Wirtschaftsverbänden und Konzernen anlegen. Bislang schien es bequemer, die Mehrwertsteuer zu erhöhen und die Steuern auf Kapitaleinkommen zu senken. Es wird vom Druck der Zivilgesellschaft, von engagierten PolitikerInnen und Druck aus den Medien abhängen, ob die Empörung über die zunehmende Ungleichheit sich in gerechte Steuerpolitik übersetzt.
SVEN GIEGOLD
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Kommentar von
Sven Giegold