Deutscher ESC-Vorentscheid: Etablierte schlagen Nachwuchs
Die deutsche Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest in Malmö zeigte vor allem eines: Die Neuen sollen erstmal noch üben.
HANNOVER taz | Natalie Horler strahlte schon auf der Bühne, herzte ihre KonkurrentInnen innig, bedankte sich – und man möchte der Frontfrau der Dancecombo sofort glauben, dass sie die Tage von Hannover genossen hat.
Und zwar nicht nur, weil ihr Act die deutsche Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest in Malmö ziemlich deutlich gewinnen konnte. „Glorious“ hieß ihr Lied, das nicht nur in diskreter Weise entschieden an den Song „Euphoria“ erinnerte, mit dem die Schwedin Loreen im Vorjahr in Baku den europäischen Popcontest gewinnen konnte.
Horler aber sagte, gefragt, ob ihr Lied nicht sehr „Euphoria“ ähnele, sehr gut gelaunt, na, da würde ein ziemlich schreckliches Lied dabei herauskommen, würde man beide Lieder übereinander legen. Im Grunde, fuhr sie fort, sei es doch so, dass Dancemucke sich irgendwie immer gleiche. Und das hieß: In der Großdisse sind alle Tonspuren ein einziger Mulch – und mit diesem hatte Cascada vor knapp 10.000 Zuschauern in Hannover auf dem Messegelände doch alle anderen ausstechen können.
Und weil die nicht nur in Bayern als famose Livemucker bekannten Jungs von LaBrassBanda auf dem zweiten Platz landeten, die um Xavier Naidoo erleichterten Gottesschrummler von Söhne Mannheim auf dem dritten Rang endeten, darf man sagen: Diese Hannoveraner Show ist beherrscht worden durch die Arrivierten, durch jene Acts, die ihre Fanbasen sicher haben, die Jahre im Geschäft sich tummeln und vor den hohen Himmeln der Arena keine Angst hatten.
„La La La“
Alle Künstler, die, wenn überhaupt, an Performances in Clubs oder Provinzaulen gewöhnt waren, blieben letztlich auf der Strecke: Gescheitert an den eigenen Nerven (Betty Dittrich mit dem sommerlich-frischen „La La La“), an zuviel Popkunstbeflissenheit (Ben Ivory mit einer queeren Kalthymne namens “The Righteous Ones” oder die Marc-Almond-Adepten von den Blitzkids mvt, die mit „Heart On The Line“) scheiterten, oder eine wie Saint Lu, die zwar prima singen konnte, aber was sie da intonierte, war kein gutes Lied.
Nachwuchskräfte – das war das Signal – sollen erstmal noch üben. Eine wie Mia Diekow, die entferntest an eine homöopathisch dosierte Variante von Francoise Cactus erinnerte, belegte den letzten Platz, zwei Punkte nur erhielt sie von der Jury, einen nur vom Televotingpublikum.
Über den Rest dürfen karge Worte gefunden werden. Dass Die Priester mit Mojca Erdmann nur Neunte wurde, mag auch mit der üblichen Krise des Katholischen zu tun gehabt haben, vielleicht auch damit, dass ein liturgisches Lied tragend sein darf, aber nicht enervierend langsam – das törnte so gar nicht. Nix mit Charme im Stile von „Der Name der Rose“.
Finn Martin, ein überaus freundlicher junger Mann, zu dessen Meriten es zählt, schon mal einen Reklamesong für eine Handcremefirma eingespielt zu haben, interpretierte seinen Song „Change“, als mache ihm der Auftritt halbwegs Freude – aber offenbar konnte man sich, wie eben bei den allermeisten Acts, nicht vorstellen, irgendeinen Punkteregen im Mai in Malmö zu ernten.
Souveräne Anke Engelke
Nein, Cascada waren die Besten. Sie, die die After-Show-Party ausfallen lassen mussten (und eventuell auch wollten), um pünktlich im Morgenmagazin der ARD in Köln anzukommen, sind in ganz Europa als solide Tanzmusikanten im zeitgenössischen Stil bekannt. Sie haben eine Popularität, die nicht einmal im eigenen Land am größten ist. In Großbritannien finden sich ihre Songs in den Charts, ebenso in Dänemark oder Schweden, wo sie als Europäer mit deutschem Hintergrund promotet werden.
Natalie Horler sagt, sie habe nicht damit gerechnet, in Hannover zu gewinnen. Fans hätten ihr und den Cascada-Mitgliedern länger schon nahegelegt, es mal beim Eurovision Song Contest zu probieren. Jetzt sei es soweit gewesen, so die taffe Chanteuse mit den kräftigen Oberarmen, und umso größer sei ihre Freude, plötzlich und unerwartet vorne zu liegen.
LaBrassBanda teilten hinterher mit, dass sie fast froh seien, nicht nach Malmö zu müssen. Enttäuschte Verlierer? Könnte sein. Ihr Grund ist ein musikalischer: Beim Eurovision Song Contest dürfen die Instrumente auf der Bühne, also das Blech der Bayern, nicht live gespielt werden. Betty Dittrich muss auch nicht enttäuscht sein – ihr „La La La“ wird bestimmt ein Sommerhit, und sie kann weiter unbehelligt wie Tausende andere junge Erwachsene in ihrem Alter, in Neukölln wohnen bleiben. Denn: „Da ist es cool, dann kenn ich alle Bars und Cafés.“
Der NDR hat eine schöne Show zelebriert – und zu dieser zählte die Moderatorin Anke Engelke, die eine luftige, trotzdem seriöse Dirigentin des Abends war.
Jan Feddersen bloggt auf der NDR-Seite eurovision.de regelmäßig zum ESC.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr