Deutscher Atomkredit wird geprüft: Mieses Gutachten für AKW in Brasilien
In Brasilien hält man nichts von einer „Dämonisierung der Atomenergie“ und baut das AKW „Angra 3“ weiter. Dabei werden in zwei Gutachten schwere Mängel beanstandet.
PORTO ALEGRE taz | Noch ist die Hermes-Exportbürgschaft, die die Bundesregierung für das brasilianische AKW „Angra 3“ erteilen möchte, nicht in trockenen Tüchern. „Wir sind noch in Gesprächen“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag in Hannover nach ihrem Treffen mit Dilma Rousseff. Die brasilianische Präsidentin, die zur Cebit-Messe angereist war, bekräftigte ihre Position: „Wir bauen Angra 3 weiter, weil wir schon sehr viel Geld hineingesteckt haben.“
Im übrigen halte man in Brasilien nichts von einer „Dämonisierung der Atomenergie“, meinte Rousseff. Als Präsidialamtsministerin war sie allerdings vor sechs Jahren noch selbst gegen den Bau des Siemens-AKWs, wenn auch aus wirtschaftlichen Gründen. Selbst die bereits angefallenen Lagerungskosten der Bauteile, die sich seit Anfang der 80er Jahre vor Ort befinden, rechtfertigten die Fortsetzung des Milliardenprojekts nicht, argumentierte sie damals, Atomkraft sei viel zu teuer. Angra 3 und der 2000 ans Netz gegangene Zwillingsmeiler Angra 2 sind das sichtbare Ergebnis des deutsch-brasilianischen Atomabkommens aus dem Jahr 1975.
Doch dann gab ihr Vorgänger Lula grünes Licht, auch aus geopolitischen Gründen. Der Bau begann 2010, heute sind 3.000 Arbeiter des Baumultis Andrade Gutierrez in der Bucht 15 Kilometer südlich der 170.000-Einwohner-Stadt Angra dos Reis tätig. Die Baustelle liegt unmittelbar an der Küstenstraße zwischen Rio de Janeiro und São Paulo, die in der Regenzeit immer wieder durch massive Erdrutsche beeinträchtigt wird.
Nach wie vor möchte die schwarz-gelbe Bundesregierung eine Hermes-Bürgschaft über 1,3 Milliarden Euro erteilen, obwohl Siemens im April 2011 aus der deutsch-französischen Firma Areva NP ausgestiegen war. Allerdings liegt das hierfür nötige Sicherheitsgutachten der Firma Istec immer noch nicht vor. Ihr positives Vorgängergutachten von 2010 hatte systematische Mängel aufgewiesen.
Umstände erinnern an Fukushima
Schneller waren die Organisationen Urgewald und Greenpeace: Am Dienstag stellten sie in Berlin zwei Gutachten aus Brasilien vor. „Alles, was in Fukushima zur Katastrophe geführt hat, ist auch bei Angra 3 zu finden: falsche Annahmen, ein ungeeigneter Standort und veraltete Technik“, sagte Barbara Happe von Urgewald.
Angra 3 erfülle nicht einmal die Standards des AKWs Grafenrheinfeld, das 2015 stillgelegt werden soll, erklärte Atomingenieur Francisco Corrêa. Die Kuppel sei mit 60 Zentimetern nur halb so dick und damit kaum gegen Flugzeugabstürze oder Wasserstoffexplosionen gesichert. Neuere Sicherheitsanforderungen wie nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima würden in Brasilien ignoriert.
Schwere Mängel bescheinigte Corrêa der „Sicherheitskultur“ im Atomsektor. So gebe es keine regierungsunabhängige Atomaufsicht. Viele der 44 Auflagen, die das Umweltministerium bei Gewährung der Bauerlaubnis 2009 gemacht hatte, seien noch nicht umgesetzt. Angra 2 laufe seit 12 Jahren ohne endgültige Betriebsgenehmigung.
Auch wenn die Szene der aktiven Atomkritiker in Brasilien überschaubar ist: Umfragen zufolge lehnt die große Mehrheit der Bevölkerung den Bau weiterer AKWs ab. Gegen die deutsche Bürgschaft für Angra 3 hat sich die katholische Bischofskonferenz ebenso ausgesprochen wie die Grünen im Parlament, die Außenminister Westerwelle auf seinem Brasilienbesuch im Februar ein Protestschrieben zukommen ließen. Die Mittel für Angra 3 fehlten nun bei der „Entwicklung nachhaltiger Alternativen in der Energieversorgung“, heißt es da.
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