Deutsche legen keine Vorräte an: Bundesregierung rät zum Hamstern
Die Vorratshaushaltung ist aus der Mode gekommen. Dennoch empfiehlt die Bundesregierung, stets für zwei Wochen genügend Essen im Haus zu haben.
"Auf Nummer sicher gehen Sie mit folgendem Vorrat (pro Person für ein Jahr): 170 kg Weizen oder anderes Getreide im ganzen Korn, 45 kg Zucker oder Honig (Zucker hält jahrzehntelang, Honig ist unbegrenzt lagerfähig), 45kg Magermilchpulver (Haltbarkeit wird meist mit 2 Jahren angegeben, in Wirklichkeit kann man es weitaus länger lagern), 6 kg Salz (trocken unbegrenzt haltbar)." … "Wenn Sie keinen Bauernhof besitzen oder keinen pachten können, sollten Sie sich mit einigen Bauern anfreunden und somit stabile Kontakte zu Lebensmittelerzeugern aufbauen." … "Pachten Sie einen Schrebergarten" … "Kaufen Sie sich einen Brotbackautomaten." (www.krisenvorsorge.com)
Herbst letzten Jahres: Die Isländer stürmen die Supermärkte. Sie decken sich mit Milch und Obst ein. Soeben sind ihre drei größten Kreditinstitute zusammengebrochen. Winter 2009: Deutsche Banken brauchen Staatshilfe, einst erfolgsverwöhnte Automobilkonzerne schicken ihre Leute in die Kurzarbeit. Die Deutschen hamstern nicht. Sie legen wenig Vorräte an. Zu wenig, meint die Bundesregierung.
Die Beamten im Hause von CSU-Verbraucherministerin Ilse Aigner klagen: "Über mögliche Versorgungsengpässe macht sich kaum noch jemand Gedanken." Ihr Tipp heißt: immer "gut gewappnet zu sein für den Fall der Fälle".
Sie empfehlen jedem, stets einen Vorrat für 14 Tage im Haus zu haben. Aber wer will schon Dosengemüse horten? Zumal viele gar keinen Keller und keine Speisekammer besitzen. Und die Zeiten, in denen Hausfrauen im Sommer Erbsen, Bohnen, Pflaumen einkochten, damit es auch im Winter etwas zu essen gab, sind lange vorbei. So stößt man auch nur zufällig auf die praktische Lebenshilfe der Regierungsbeamten. In den 1960er-Jahren war das - zumindest in Westdeutschland - noch anders.
Die Bundesregierung wollte ein Land voller Hamster oder besser gesagt: eine Eichhörnchenrepublik. "Aktion Eichhörnchen: Denke dran, schaffe Vorrat ran" - so rief sie die Haushalte Anfang der 1960er-Jahre auf. Bürger bekamen Broschüren in die Hand gedrückt mit Einkaufslisten für eine 14-Tage-Ration: Mehl, Pumpernickel, Schmalzfleisch. Mehrere Jahre ging das so. Es war Kubakrise, Kalter Krieg. Für die Eichhörnchenwerbung spendierte die Regierung jedes Jahre bis zu 1,5 Millionen D-Mark. Die DDR sparte sich solche Aufrufe.
Ende der 60er-Jahre galt Hamstern und Horten im Westen dann "als lächerlich", meint der Göttinger Psychologe und Panikforscher Borwin Bandelow. Menschen im Norden neigten allerdings eher zum Vorräteanlegen als jene, die im Süden leben. Bandelow erklärt: "Als die Menschen nach Norden wanderten, mussten sie mit der monatelangen Kälte zurechtkommen." Sie fürchteten zu verhungern.
Angst? Die hatten viele, als der Atomreaktor in Tschernobyl in die Luft flog. H-Milch verkaufte sich damals gut. Medikamente wurden knapp, als die Vogelgrippe drohte. Zurzeit gibt es keine leeren Regale. "Die Finanzkrise sehen die meisten derzeit nicht als ihr Problem an", meint Bandelow - "noch nicht".
HANNA GERSMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Vorschläge für bessere Schulen
Mehr Führerschein wagen