Deutsche Vergangenheitsbewältigung: Artenschutz für Adolf Hitler!
Wir dürfen "Mein Kampf" nur kommentiert lesen, kriegen die NPD nicht in den Griff und streiten erdenschwer über einen Wachshitler. Ein Essay über eine deutsche Debatte
So hatte sich der Führer die Rückeroberung seiner Hauptstadt nicht vorgestellt. Gut ein halbes Jahrhundert hatte er in Wallhall bei Papa Wagner, Houston Stewart Chamberlain, Joseph Arthur Gobineau, Domprediger Adolf Stoecker, Oswald Spengler, Carl Schmitt, Hans Globke und ähnlichem Gesocks ausgeharrt. Lange hatten er, seine Paladine und seine Vor- und Nachdenker vergeblich auf einen Hoffnungsschimmer gelauert. Doch es dauerte bis in die achtziger Jahre, ehe "Deutschlands größter Sohn" erste ermutigende Zeichen vernahm.
Damals entdeckte Ernst Nolte, zuvor durchaus als Faschismusforscher geachtet, dass Adolf Hitler zwar ein schlechter Kerl geworden war, doch der Vernichtungsfeldzug gegen den Osten wäre eine verständliche Angstreaktion Hitlers gegen den kriegslüsternen Stalin und seine kommunistischen Verbrecher gewesen. Was blieb dem um den Schutz seines Volkes und seines Landes besorgten Führer übrig, als den bolschewikischen Horden Asiens wehrhaft entgegen zu treten? Auch die Hebräer, so Nolte, hätten Deutschland den Krieg erklärt, daher sei zumindest ihre Internierung rechtens gewesen. Von der Internierung ins KZ ist es, wie man weiß, nur noch ein kleiner Schritt.
Als zu Beginn des 21. Jahrhunderts diese als "Historikerstreit" glorifizierte Farce endlich allmählich verblasste, fühlten sich die Filmemacher Bernd Eichinger und Oliver Hirschbiegel bemüßigt, Adolf Hitler Gerechtigkeit anzutun. Dies geschah nicht etwa aus Sympathie, sondern aus Geldgier. Das ist durchaus legitim für Geschäftsleute und Filmproduzenten. Doch so offen wollte Eichinger nicht sein, schließlich schielten er und sein Regisseur auf Hollywood und den Oscar - und da haben die Juden ja bekanntlich einiges zu sagen. Also faselten Bernie E. und Olli H. von der historischen Verantwortung, der Notwendigkeit der Aufklärung und was sie sonst so aufgeschnappt hatten, während der Dekaden, als die Deutschen versuchten, ihre Vergangenheit "zu bewältigen".
Heraus kam das Machwerk "Der Untergang". Nomen est omen. Hirschbiegel und Eichinger gelangten zu der enormen Erkenntnis, dass Hitler "ein Mensch" gewesen sei. Niemand konnte ihnen widersprechen. Denn selbst die schärfsten Gegner der Nazis hatten nie behauptet, Adolf Hitler sei Elefant oder Bär gewesen. Lediglich er selbst wollte sich als Wolf, in Bayreuth auch als "Onkel Wolf", genannt hören.
Wolfgang Wagner, noch heute eherner Gralshüter des Grünen Hügels, der das Image der Veranstaltung gelegentlich mit Musterjuden wie Daniel Barenboim aufpeppt, mag sich noch gut an den noblen Onkel erinnern, der ihn und seinen Bruder selbst beim letzten Ansturm der Bolschewisten vor dem Kriegshandwerk bewahrt hatte. Ein Glück, dass dem wackeren SS-Schützen Günter Grass und seinem Kollegen Erwin Strittmatter leider nicht widerfuhr. Drum hielten sie lange ihren Mund.
So eilten die deutschen Zuschauer hurtig in den Bunker, um sich zu überzeugen, dass Hitler durchaus ein Wiener Kavalier war, der selbst kleine Schreibschwächen seiner Sekretärin tolerierte. Na ja, politisch war er zwar ein übler Geselle, der gegen die Juden wetterte, but nobody is perfect. Der eigentliche Bösewicht der Veranstaltung war Magda Goebbels, die eigenhändig ihre Kinder meuchelte, während der Führer bis zuletzt zitternd die Haltung bewahrte und lieb zu Blondi war. Ein Mensch eben. Hitlers Menschlichkeit hatte Thomas Mann längst in seinem Essay "Bruder Hitler" hervorgehoben. Aber wer macht sich schon die Mühe, diese Schrift zu lesen?
Nun endlich soll der Führer nach Berlin zurückkehren. Nicht als Herr der Olympischen Spiele, wie ihn 1936 die ganze Welt, sehr viele auch mit erhobenem rechten Arm, gefeiert hatte. Und auch nicht als glorreicher Feldherr, der vier Jahre später den Erzfeind Frankreich binnen weniger Wochen niederrang und sich darob redlich seinen Ruf als Gröfaz - größter Feldherr aller Zeiten - verdiente. Als Dank wurde er von Hunderttausenden ekstatischen Berlinern bejubelt.
Heutzutage sind wir politisch korrekt und arbeiten wacker an unserer Vergangenheit. Also stecken wir den Führer wieder in den Bunker. Crime does not pay, Adolf. Das hat er nun davon, dass er nach dem Triumph über Frankreich sich auch noch gegen Russland gewandt und obendrein bei Stalingrad alles verspielt hatte. Der tatternde Hitler im Führerbunker. Aus Wachs.
Und wieder lebt die deutsche Debatte auf. Erdenschwer - hat nichts mit der Farbe zu tun, oder? Darf man Adolf zeigen oder nicht? Die Nazi-Haufen dürfen mit Fahnen und getarnten Uniformen durch unsere Städte marschieren und werden obendrein von der Polizei bewacht. Der NPD ist es gestattet, als Partei zu existieren und Wahlkostenzuschüsse aus unseren Steuergeldern zu kassieren. Der Staat und seine Verfassungsorgane, für die wir Milliarden öffentlicher Gelder aufwenden, sind unfähig, dem Treiben der braunen Brut ein Ende zu bereiten, weil sie sich im Gestrüpp des Rechtsstaats permanent verheddern.
Und wir führen philosophische und rechtstheoretische Debatten über Sinn und Zweck eines NPD-Verbots, statt dem existentiell bedrohlichen Wirken dieser und verwandter Bewegungen endlich das Handwerk zu legen.
Wir leisten uns auch Spiegelfechtereien, ob der wächserne Adolf hier ebenso frei zugänglich sein sollte wie in London, Paris oder Moskau. Kein vernünftiger Mensch mag begreifen, warum Bilder des Führers in voller Montur erlaubt, seine Puppe in öffentlicher Ausstellung hingegen verboten bleiben sollte.
Wir Deutschen sind doch so normal! Beweis: Wir versichern uns dies täglich, stündlich, bis zum Überdruss. Aber "Mein Kampf" dürfen wir nicht lesen. Anders als in Tel Aviv, New York oder Stockholm. Aber wir und unsere Kinder sollen in der Lage sein, Hitler zu verstehen. Doch nun, da der Zentralrat der Juden Grünes Licht für das braune Werk gegeben hat, dürfen wir bald wieder Hitler schmökern. Kommentiert selbstverständlich. Soviel trauen wir also unserer freiheitlichen, humanen Demokratie zu!
Wir streiten erbittert über den wachsweichen Adolf. Das hat einen ehemaligen Polizisten so erregt, dass er der Puppe den Kopf abgerissen hat. Oh hätte es die Polizei, vor allem aber die Mehrheit der Deutschen in den dreißiger Jahren so gehalten!
Immerhin, heute scheint Adolf Hitler richtig unbeliebt zu sein in Berlin. Er wird bewacht werden müssen.
Artenschutz für Adolf! Und da sage einer, die deutsche Geschichte mache keine Fortschritte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid