Deutsche Regierung ratlos: Wohin mit den Piraten?
Erstmals setzt die deutsche Marine Seeräuber vor der Küste von Somalia fest. Sie sollen an Kenia überstellt werden. Wann sie einen Richter sehen, ist noch völlig unklar.
Wenn die Bundeswehr Piraten vor Somalia festnimmt, dann gelten die üblichen Garantien des Grundgesetzes nicht. Das verlautete gestern aus Regierungskreisen. Die Piraten müssen also nicht spätestens Freitag einem Richter vorgeführt werden.
Neun mutmaßliche somalische Piraten sitzen derzeit auf Bierbänken an Deck der deutschen Fregatte "Rheinland-Pfalz". Ein Zelt schützt sie gegen die Sonne, zum Schlafen haben sie Decken. Außerdem steht ein Dixie-Klo zur Verfügung. Wie es weitergeht, war Donnerstag bis Redaktionsschluss unklar. Die deutsche Marine hat zum ersten Mal Piraten festgenommen.
Klar ist derzeit nur, dass die Bundesregierung die Männer nicht nach Deutschland holen will. Diese hatten zwar am Dienstag das Handelsschiff "MS Courier" angegriffen, das einer Bremer Reederei gehört. Es bestehe aber kein besonderes Interesse an einer Strafverfolgung in Deutschland, hieß es, da das Schiff unter der Flagge von Antigua fährt und zur Besatzung nur Filipinos und ein Birmane gehören. Sicherheitshalber hat die Staatsanwaltschaft Hamburg, die für Straftaten auf hoher See zuständig ist, am Donnerstag dennoch ein Ermittlungsverfahren gegen die neun Somalis eingeleitet. An Bord der "Rheinland-Pfalz" wurden ihnen bereits Fingerabdrücke abgenommen.
Ziel der Bundesregierung ist jedoch, die Festgenommen an Kenia zu übergeben, damit sie dort vor Gericht gestellt werden können. Ein Abkommen der EU mit Kenia steht kurz vor der Unterzeichnung. Möglicherweise wird Deutschland aber vorweg einen bilateralen Vertrag schließen. Kenia, das südlich von Somalia ebenfalls an der Küste liegt, ist auch von der Piraterie betroffen. Wie lange die Verhandlungen noch dauern, ist unklar. Deshalb stellt sich die Frage, ob an Bord der "Rheinland-Pfalz" ein kleines ungesetzliches Gefangenenlager entsteht.
Das Grundgesetz ist eigentlich eindeutig. "Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden", heißt es in Artikel 104. Die richterliche Entscheidung ist "unverzüglich" herbeizuführen. Für die Festnahme durch Polizisten wird sogar eine ausdrückliche Obergrenze gegeben. Hier muss der Richter spätestens am Tag nach der Festnahme entscheiden. Bei der Festnahme durch Soldaten gilt diese strenge Frist freilich nicht. Wenn zum Beispiel ein renitenter Soldat von der Bundeswehr auf einem Schiff im Auslandseinsatz festgenommen wird, so kann die unverzügliche Vorführung vor einen Richter auch einige Tage länger dauern.
Beim Anti-Piraten-Einsatz "Atalanta" gilt nach Ansicht der Bundeswehr das Grundgesetz aber ohnehin nicht, weil es sich um eine gemeinsame Aktion der EU handelt. In den Atalanta-Einsatzregeln soll eine Frist enthalten sein, wonach Piraten bis zu zwölf Tagen ohne richterlichen Beschluss festgehalten werden können. Diese Einsatzregeln sind allerdings geheim. Auch die Bundesregierung konnte hierzu gestern noch keine Auskunft geben.
Der FDP-Piraterie-Experte Rainer Stinner versteht die ganze Aufgeregtheit in Berlin nicht. "Seit Monaten gehört es zum Auftrag der Bundeswehr, Piraten festzunehmen, und jetzt tut die Regierung so, als sei etwas völlig Unvorhergesehenes passiert", sagte er zur taz.
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