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Deutsche PolizeiAlle zehn Tage ein gezielter Schuss

Die Zahlen zum Dienstwaffengebrauch bleiben im Vergleich zum Vorjahr unverändert. Die Polizei veröffentlichte auch die Opferzahlen. Viele Beamte sind traumatisiert.

Polizist bei einer Verkehrskontrolle. Bild: dpa

HANNOVER dpa | Polizisten in Deutschland haben im vergangenen Jahr acht Menschen mit ihrer Dienstwaffe erschossen und 20 durch Kugeln verletzt. In insgesamt 36 Fällen und damit exakt so oft wie 2011 haben die Beamten gezielt auf Menschen geschossen. Es gab weniger Opfer als Vorfälle, weil sie nicht immer trafen. Diese Zahlen gehen aus Statistiken (als .pdf) im Auftrag der Innenministerkonferenz (IMK) hervor, die der Nachrichtenagentur dpa in Hannover am Mittwoch vorlagen.

Rein rechnerisch ergibt sich aus den Zahlen wie in den Vorjahren auch, dass die Polizei hierzulande jeden zehnten Tag ein Menschenleben mit Schüssen gefährdet. Fast immer ist Notwehr der Auslöser – dieses Bild zieht sich ohne Ausreißer durch die gesamten vergangenen Jahre.

Der niedersächsische Innenminister und amtierende IMK-Vorsitzende, Boris Pistorius (SPD), sagte der dpa am Mittwoch: „Die Statistik über den Schusswaffengebrauch 2012 zeigt ganz eindeutig, dass unsere Polizeibeamtinnen und -beamte verantwortungsbewusst und nur in besonderen Ausnahmefällen die Schusswaffe gebrauchen.“ Das Land Niedersachsen hat in diesem Jahr den wechselnden IMK-Vorsitz.

Von den 36 Fällen 2012 ereigneten sich 35, um lebensbedrohliche Situationen abzuwenden. Alle acht Todesopfer seien in diesem Zusammenhang gestorben. Im 36. Fall wollte die Polizei die Flucht eines Schwerverbrechers mit der Dienstwaffe vereiteln, dabei gab es einen Verletzten.

In 54 Fällen feuerten Polizisten im vergangenen Jahr Warnschüsse ab und in 14 Fällen schossen sie auf Gegenstände – etwa Türen oder Reifen. Seit 1998 gab es 656 Ernstfälle, in denen Polizisten auf Menschen zielten und auch abdrückten. Dabei starben 109 Menschen.

Vorbereitung auf den Ernstfall

Minister Pistorius sagte: „Es ist erfreulich, dass die Tendenz des Schusswaffengebrauchs gegen Personen seit langem rückläufig ist und in den letzten Jahren auf niedrigem Niveau verharrt. Dies ist auch ein Beweis für die gute Aus- und Fortbildung der Beamtinnen und Beamten, um sie auf derartige Extremsituationen vorzubereiten.“

In der jüngeren Vergangenheit gab es immer wieder Diskussionen um die wachsende Zahl gewaltsamer Übergriffe auf Polizisten. Die Polizeigewerkschaften beklagen eine zunehmende Gewaltbereitschaft. Die Kriminalstatistik stützt dieses Bild. Demnach gab es vergangenes Jahr 30 Mord- und 54 Totschlagsversuche gegen Polizisten. Drei Beamte starben bei solchen Attacken. Gefährlich verletzt wurden Polizisten 2012 in 1.762 Fällen, bei 1.993 Attacken blieb es nur beim Versuch.

Der Polizist Oliver Tschirner hat 2009 für eine Masterarbeit an der Hochschule der Deutschen Polizei in Münster Polizisten befragt, die im Dienst einen Menschen getötet haben. Eines seiner Ergebnisse: Viele Polizisten sind danach ein Leben lang traumatisiert. Nur ein Drittel kehre bald in den Dienst zurück. Beim zweiten Drittel gelten die Folgen als langwierig, oft müssen die Kollegen zum Innendienst. Das letzte Drittel leide fortwährend und sei lange therapiebedürftig.

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16 Kommentare

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  • T
    Tony

    Hat den Bericht eigentlich die Propagandaabteilung der Polizei geschrieben?

  • @ Desillusionist

     

    Schwätzer!

     

    Im pol Schusswaffengebrauch gibt es, in der Notwehr übrigens auch nicht, eine Prüfung der "Verhältnismäßgkeit". Das wäre eine normierte Güterabwägung die den Beteiligeten so nicht möglich ist!

     

    Wann hört die Verbreitung von diesem Schwachsinn endlich auf?

     

    Das könnte auch zu Ihrem Punkt 2 angeführt werden.

     

    Es wird derzeit, aufgrund der sehr begrenzten Wirkung von Kurzwaffenmunition, so ausgebildet das ein Angreifer bis zum sichtbaren Wirkungseintritt zu beschießen ist!

     

    Und ja die Polizeien haben auch nach meiner Meinung ein viel zu reduziertes Schießtraining.

     

    Glück auf!

     

    Karl

    • D
      Desillusionist
      @KarlM:

      Keine Prüfung der Verhältnismäßigkeit bei Notwehr erforderlich? Das mag für Polizisten gelten, für normale Bürger gilt es aber ganz sicher nicht. Wenn ich mich in einer Notwehrsituation gegen Schläger mit einem Messer wehre, komme ich wegen versuchter Körperverletzung oder sogar wegen versuchten Totschlags vor Gericht. Ich darf aus Juristensicht eben NICHT die "Grenzen" oder das "gerechtfertigte Maß" der Notwehr überschreiten, und es können mich in solchen Fällen nur die berühmten "asthenischen" Affekte vor einer Verurteilung bewahren.

       

      Im Frankfurter Gallusviertel wurde ein 61-jähriger Alkoholiker mit einem Küchenmesser in der Hand durch 3 von 6 auf ihn abgegebenen Schüssen getötet. Kommentar eines Polizisten: "Die haben sie doch nicht mehr alle." Die Spässe unter Polizisten zum Studenten Eisenberg in Bayern, der 12 Schuss Kurzwaffenmunition verpaßt bekam, sind Ihnen sicher selbst bekannt.

      • T
        Tony
        @Desillusionist:

        gut gesprochen

  • D
    Desillusionist

    Eine genauere Prüfung der Schusswaffeneinsätze mit tödlichem Ausgang liefert leider, auch nach Ansicht mehrerer altgedienter Polizisten, mit denen ich darüber gesprochen habe, die folgenden Befunde:

     

    1. Es wurde auch geschossen wo es andere Abwehrmöglichkeiten gegeben hätte. Auch bei akuter Gefahrenabwehr ist dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu entsprechen. Nein, ich bestreite nicht, daß das schwierig sein und nicht immer gelingen kann. Aber der Anspruch besteht - mit gutem Grund.

     

    2. Die Anzahl der Schüsse und die Treffer legen nahe, daß die Polizisten im Umgang mit der Schusswaffe teilweise nicht ausreichend geschult und trainiert sind.

     

    Ein mir bekannter Personenschützer aus Frankfurt erzählte verwundert, daß er selbst zum Training im Jahr ungefähr so viele Schüsse abgibt, wie die gesamte Frankfurter Polizei. Er kann sich das nur mit Sparmassnahmen erklären - und hält diesen Sachverhalt sowohl für die Polizisten als auch für die Bürger für hochgefährlich.

    • R
      Ruhender
      @Desillusionist:

      Schlecht ausgebildet, unsicher, überfordert, frustriert und schwer bewaffnet - in der Tat eine hochbrisante Mischung.

  • F
    Fließender

    "Fast immer ist Notwehr der Auslöser – dieses Bild zieht sich ohne Ausreißer durch die gesamten vergangenen Jahre." Haben Sie das Berliner Brunnenvideo nicht gesehen, werter anonymer dpa-Autor? Wenn Sie es gesehen und mit dem Polizeibericht verglichen haben, können Sie unmöglich davon ausgehen, daß der statistischen Meldung der Polizei, auf die Sie sich hier berufen, uneingeschränkt Glauben geschenkt werden darf. Aus dem Brunnenvideo geht klar hervor, daß eine Notwehrsituation durch polizeiliches Fehlverhalten überhaupt erst entstanden ist. In wievielen weiteren Fällen der vergangenen Jahre sich das so entwickelt hat, bleibt vernebelt, da man, anstatt selbst zu recherchieren. einfach die Polizeimeldung kopiert. Hier besteht gewaltiger journalistischer Nachholbedarf.

    • T
      Toskana
      @Fließender:

      Genau, Polizisten und Polizistinnen haben ja soviel Spaß daran sich in Lebensgefährliche Situationen zu begeben, damit sie dann einen Menschen erschießen können... gehts noch? Ich habe das Video auch gesehen und der Mann geht rasch auf den Polizisten zu (mit einem Messer) zwei Sekunden für den Polizisten sich zu entscheiden schießen oder abzuhauen. Das ganze in einem Brunnen wer weiß wie schnell er da rauskommt. Und warum ist er im Brunnen? Weil er seinen Job macht. So tragisch das ganze war, der Mann hatte es zu jedem Zeitpunkt in der Hand die Waffe fallenzulassen.

      • F
        Fließender
        @Toskana:

        Der Polizeibericht beschreibt einen völlig anderen Vorgang, als er im Video zu sehen ist. Warum?

  • W
    wurstknoten

    Sooooosoooooooooo....

    """"""Viele Polizisten sind danach ein Leben lang traumatisiert. """""""""

    Fragen Sie mal das "polizeiliche Gegenüber" ob es evtl. auch "traumatisiert" ist. So es denn dann noch antworten kann.

    • 7G
      774 (Profil gelöscht)
      @wurstknoten:

      Ja, fragt die Opfer der Polizei und der Justiz, wie gut hier alles funktioniert. Das käme der Wahrheit sicher näher.

  • MN
    Mike Nixda

    Und wer fragt nach den traumatisierten Opfern von Polizeigewalt und unverhältnismäßigen Hausdurchsuchungen?

  • A
    Anonymous

    Ich frage mich, wo diese Statistik gefälscht wurde, angesichts der Tatsache, dass offensichtlich ein geistig verwirrter, nackter Mann in einem Brunnen eine lebensbedrohliche Situation darstellt. Hoppala, das war ja erst dieses Jahr. Das hat natürlich in den entwaffnenden Zahlen von 2012 nichts verloren.

     

    Das der gezielte Schuss auf einen Menschen nichts schönes ist, kann ich aus eigener Erfahrung berichten. Aber mir stellt sich dennoch die Frage, wie man so nervös sein kann. Gerade als geschulter Schütze schießt man nicht auf den Brustbereich ausser zum Fang oder Reflexschuss. Damit der Schusswaffengebrauch tödlich endet, muss es entweder ein hundsmiserabeler oder ein gezielt tödlich schießender Schütze gewesen sein. Schüsse auf die Beine sind zwar meist auch verheerend aber seltenst tödlich.

     

    Doch leider wird in der heutigen Zeit viel zu viel Wert auf den "sportlichen" Aspekt und das kriegs... Pardon einsatznahe Schießen gelegt. Und da geht es eben darum den Gegner schnell und ohne großes Federn lesen kampfunfähig zu machen.

     

    Aussage dazu aus der Ausbildung: "Und merken Sie sich, der Warnschuss kam immer zuerst. Welchen der beiden Schüsse Sie zuerst abgegeben haben, kann ausser Ihrem Kammerad anschließend sowieso niemand mehr sagen." Mahlzeit auch...

  • " Fast immer ist Notwehr der Auslöser"

    Klar, einem Toten kann man alles unterstellen.

    • G
      Gast
      @vic:

      Na klar, bei Ihrer pauschalen Ablehnung der Polizei hoffe ich, dass Sie auch nie polizeiliche Hilfe in Anspruch nehmen würden, selbst wenn Sie vielleicht unangenehmen Kontakt haben.

      • A
        Alex
        @Gast:

        Ach, wenn ich bestimmte Aspekte der Polizei kritisch betrachte, darf ich diese nicht in Anspruch nehmen?

         

        Wenn ich Schlaglöcher in der Straße nicht mag, soll ich doch bitte auf Straßen verzichten?

         

        Wenn ich bestimmte Dinge bei der Bahn nicht gut finde, soll ich doch bitte keine Bahn fahren?

         

        Komm, wir sind doch nicht im Kindergarten.

         

        Die Polizei hat in Deutschland nun einmal ein Gewaltproblem, und zwar ein massives. Und zwar weniger im Bereich Schusswaffengebrauch als umso mehr im Bereich körperliche Gewalt.

         

        Dass die dpa hier Meldungen hereinreicht, in denen die naturgemäß nicht neutralen und immer jammernden Polizeigewerkschaften unkritisch zitiert werden, ist eine Sache.

         

        Dass man das alles für die Wirklichkeit hält und sich zu eigen macht, eine andere.