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Deutsche Kurden zum möglichen PKK-EndeVon Erleichterung bis Wut

Die deutschen Reaktionen auf die Forderung des Kurden-Führeres Abdullah Öcalan fallen höchst unterschiedlich aus. Gleich geblieben ist nur eines.

Köln, Oktober 2019: Protest gegen den türkischen Einmarsch in Nord-Syrien Foto: Björn Kietzmann

Berlin taz | Abdullah Öcalan, der Anführer der Kurden, hat zu einem Ende des bewaffneten Kampfs gegen die Türkei aufgerufen. Die kurdische Arbeiterpartei PKK soll die Waffen niederlegen, die sie einst aufgenommen hatte, um sich gegen die Gewalt des türkischen Staates zu wehren. Was halten die Kurden, die hier leben, davon? Was könnte es für ihre Sicherheit bedeuten?

Der grüne Bundestagsabgeordnete Kassem Taher Saleh spürt „große Erleichterung“ in der Community. Er ist als Kind aus dem irakischen Teil Kurdistans geflohen. Er wuchs in einem Asyllager in Plauen auf und wurde Bauingenieur. „Viele Kurden hoffen, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan sie endlich in Ruhe lässt, wenn nun ein Friedensprozess beginnt. Manche träumen sogar schon davon, zurück in ihre Heimat zu kehren“, erzählt der 31-Jährige im Gespräch mit der taz.

Damit es in der Türkei eines Tages sicher genug wird, dass Kurden tatsächlich zurückkehren können, fordert der Grüne Taher Saleh von der ebenfalls grünen Außenministerin Annalena Baerbock einen „sofortigen Stopp aller Waffenexporte an die Türkei.“ Stattdessen solle Deutschland lieber eine Delegation schicken, die in einem Friedensprozess als neutrale Beobachterin oder Vermittlerin auftritt. Taher Saleh, der Sprecher des Parlamentarierkreises kurdisches Leben ist, stünde dafür persönlich zur Verfügung.

Das Auswärtige Amt (AA) antwortet auf Anfrage der taz, es wolle „die Chance nutzen, Fortschritte in der Kurdenfrage zu erreichen“. Welche konkreten Maßnahmen die Bundesregierung vor ihrem Ende umsetzen könne, um einen Friedensprozess zu unterstützen, teilte es nicht mit. „Mit der türkischen Regierung stehen wir in engem Kontakt.“ Auf die Rückfrage, ob das Außenministerium auch mit einer Person von der kurdischen Seite „in engem Kontakt“ stehe, schrieb eine Sprecherin, die deutsche Botschaft in Ankara stünde mit allen Parteien im türkischen Parlament in Kontakt, also auch mit der kurdischen DEM-Partei.

Taher Saleh hofft, dass in der Folge die Anspannung zwischen Türken und Kurden in Deutschland abnimmt. „Das wird nicht von heute auf morgen passieren, aber Öcalans Rede könnte ein Startpunkt dafür sein“, sagt er. Unklar sei, inwiefern Erdoğan, türkische Nationalisten in Deutschland zu einem friedlichen Verhalten gegenüber Kurden aufrufen wird – und ob diese sich daran halten würden.

Noch nie so nah am Frieden

Auch die Kurdische Gemeinde Deutschland (KGD) begrüßt Öcalans Erklärung. Ihr Vorsitzender Ali Ertan Toprak, 55 Jahre, Kind kurdischer Gastarbeiter, sagt der taz am Telefon: „Wir waren noch nie so nah an einem Frieden.“ Er betont allerdings, dass es sich bisher erst einmal nur um eine einseitige Erklärung handele. Das habe die PKK schon oft erklärt, neu ist, dass die Erklärung dieses Mal von ihrem Gründer selbst komme. „Das finde ich gut, die PKK wurde vor allem von der Türkei als Waffe gegen Kurden eingesetzt, als Begründung, uns unsere Rechte zu verwehren.“

Toprak ist gerade im Auto unterwegs: Wahlkampf. Der 55-Jährige will am Sonntag für die CDU in die Hamburger Bürgerschaft einziehen. Die CDU war auch die Partei, die die PKK in den 1990er Jahren auf die Liste terroristischer Vereinigungen gesetzt hat. Dies hat dazu geführt, dass Kurden auch in Deutschland – und selbst wenn sie nichts mit der PKK zu tun haben – kriminalisiert werden. Obwohl die PKK hierzulande nicht durch Gewalttaten auffällt, ist es beispielsweise verboten, eine Flagge mit einem Porträt von Abdullah Öcalan oder eine Flagge der syrischen PKK-Schwester YPG zu zeigen.

„Die Kriminalisierung der demokratischen kurdischen Bewegung muss endlich aufhören“, fordert Toprak – und zeigt sich zuversichtlich: Wenn die PKK der Ansage ihres Führers folgt, wovon er tendenziell ausgeht, ergebe die Listung als Terror-Organisation „keinen Sinn mehr“.

So wie der CDU-Mann sieht das auch die Linken-Bundestagsabgeordnete Janine Wissler, formuliert es aber vehementer: „Das PKK-Verbot muss jetzt fallen.“ Die ehemalige Parteivorsitzende engagiert sich seit Jahren gegen die Schikanierung von Kurden in Deutschland, ebenso wie gegen Abschiebungen ins autoritäre Erdoğan-Regime.

„Da Kurden in der Türkei systematisch unterdrückt werden – sie werden bedroht, verfolgt und inhaftiert, sogar demokratisch gewählte Bürgermeister werden abgesetzt und verhaftet – darf dorthin weiterhin nicht abgeschoben werden“, warnt die Linke mit Blick auf die CDU, die mehr Abschiebungen angekündigt hat, sobald sie an der Regierung sei.

Das Bundesinnenministerium teilte am Freitag mit, für eine neue Bewertung des PKK-Verbots sei es zu früh: „Es gibt auch weiterhin Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts. Auch die Gerichte sehen die PKK als solche Organisation an. Es gibt eine EU-Terrorlistung. Seit 1993 gilt ein Betätigungsverbot in Deutschland“, sagte der Sprecher bei der Pressekonferenz der Regierung. Daran habe sich durch die gestrige Erklärung Öcalans nichts geändert.

Unabhängig davon, wie die Situation sich weiter entwickle, verspricht Toprak von der Kurdischen Gemeinde Deutschland: „Die politische Bewegung wird fortbestehen. Kurden werden nicht einfach aufhören, ihre Rechte einzufordern.“

Wut und Enttäuschung

Doch nicht alle sind so positiv gestimmt. „Ich bin wütend“, sagt Harun aus Berlin. Der 29-jährige Lehrer hat sich das Statement am Donnerstag zusammen mit rund 100 anderen Kurden am Brandenburger Tor angehört. „Die meisten Anwesenden waren begeisterte Anhänger Öcalans, aber selbst sie halten seine Entscheidung für falsch“, erklärt er im Gespräch mit der taz. Da Harun in der Türkei verfolgt wird und selbst hier Angst vor Erdoğan und anderen türkischen Nationalisten hat, möchte er seinen echten Namen nicht preisgeben.

Der Kurde, der nicht per se für Waffengewalt ist, findet: „Einen 43-jährigen Kampf zu beenden, ohne jegliche Gegenleistung dafür zu erhalten, ist schlicht unvernünftig.“ Ob sich die Kurden vom türkischen Staat etwas erhoffen dürfen, wenn die PKK die Waffen niederlegt, ist bisher nicht bekannt. Harun ist traurig, dass aus Öcalans Vorschlag, statt eines kurdischen Nationalstaats einen „demokratischen Konföderalismus“ einzurichten, nichts geworden ist.

Seine Prognose lautet, dass unter den Kurden jetzt Nationalisten, die einen eigenen kurdischen Staat fordern, wieder an Einfluss gewinnen könnten. „Die sind der Ansicht, dass politische Rechte nur durch den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat errungen werden können. Diese Einschätzung teile ich.“

Auch ein anderer Kurde, der namentlich nicht genannt werden will, sagt, er beobachte große Enttäuschung. „Die Leute fragen sich nach der Aufforderung von Öcalan: Was sollen wir jetzt noch machen?“ Er spielt darauf an, dass die friedlichen Versuche der Kurden, ihre Rechte zu erlangen, gescheitert sind.

Was eine PKK-Auflösung für syrische Kurden bedeuten könnte

Wenn die Türkei tatsächlich mit der PKK verhandelt, könnte das auch positive Auswirkungen für syrische Kurden haben, vermutet Bênav Mustafa. Der 26-Jährige stammt aus Derîk in Rojava (offiziell Nordsyrien). Er ist vor 10 Jahren nach Deutschland geflohen und steht kurz vor seinem Studienabschluss in Philosophie und Geschichte.

Insgesamt begrüßt der Berliner den Ansatz, eine Lösung für Kurden innerhalb der bestehenden Staaten zu finden. Er hat aber erst einmal keine konkreten Erwartungen. „Bisher waren das ja alles nur Worte.“

Mit Blick auf Deutschland sagt er: „Ich hoffe, dass es dieses Mal nicht so läuft wie im Dezember nach dem Sturz von Assad in Syrien, als hier sofort eine wilde Abschiebe-Debatte ausgebrochen ist.“ Damals forderten deutsche Politiker von Friedrich Merz bis Robert Habeck, dass Syrer in ihr Land zurückkehren sollten. „Aber es gibt absolut keine Garantie, dass Kurden in der Türkei oder Syrien künftig sicher leben können“, warnt Bênav Mustafa. Er findet, so wie Kassem Taher Saleh, Deutschland oder die EU sollten mögliche Friedensverhandlungen beobachten.

Ob die PKK sich auflöst oder nicht, Mustafa wünscht sich von der künftigen Bundesregierung eine mutigere Türkei-Politik. „Ich habe die leise Hoffnung, dass Merz gegenüber Erdoğan klarere Kante zeigen könnte, als Scholz und Merkel das getan haben.“

Diese hatten dem türkischen Präsidenten sämtliche Menschenrechtsverletzungen von Kurden durchgehen lassen, weiter Waffen an die Türkei geliefert und Handel mit dem Land betrieben, da sie nicht wollten, dass Erdoğan Flüchtlinge von der Türkei nach Deutschland weiterreisen lässt. „Aber dieses Druckmittel hat Erdoğan nicht mehr, seit in Syrien Assad gestürzt wurde“, erklärt Mustafa.

Rassismus gegen Kurden geht, das betont Mustafa, nicht nur von der deutschen Mehrheitsgesellschaft aus, sondern auch von Türken und Deutsch-Türken. „Deutschland sollte endlich etwas gegen Islamismus unternehmen“, fordert der Student mit Blick auf Einrichtungen wie DITIB, eine von der Türkei aus gesteuerte islamistische Organisation. Islamisten greifen Kurden – wie zuletzt bei einer Demonstration im Januar in Kiel – immer wieder gewaltsam an. Auch türkische Nationalisten seien eine altbekannte Gefahr, sagt Mustafa. „Der anti-kurdische Rassismus würde, wie ich fürchte, auch mit einem Ende der PKK nicht einfach verschwinden“, zeigt sich der Student skeptisch.

So unterschiedlich Kurden über die PKK und deren mögliches Ende denken und so freimütig sie ihre heterogenen Haltungen kundtun, so auffällig ist, wer sich bisher noch nicht geäußert hat: die PKK selbst.

Update: Die Antwort des Auswärtigen Amtes ging erst nach Veröffentlichung des Artikels bei der taz ein. Wir haben die Stelle entsprechend aktualisiert.

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