Deutsche Flüchtlingspolitik: Kein freundliches Gesicht
Vor fünf Jahren zeigte Deutschland Menschlichkeit und nahm Geflüchtete auf. Heute verweist man lieber auf die fehlende europäische Einigung.
G eschichte wiederholt sich nicht. Als vor genau fünf Jahren Zehntausende Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern von Ungarn über Österreich die Bundesrepublik Deutschland erreichten, zeichnete sich die Regierung Merkel dadurch aus, dass sie diese Menschen nicht abwies, sondern die Grenzen offen hielt. Deutschland zeigte damit Menschlichkeit. Bundeskanzlerin Merkel nannte das ein „freundliches Gesicht“, für das sie nicht bereit sei, sich auch noch zu entschuldigen.
Eine Verständigung mit den europäischen Partnern bei der Verteilung Geflüchteter erreichte die Bundesregierung in den folgenden Verhandlungen nicht. Bis heute fehlt ein solcher Mechanismus, und es ist gewiss nicht Schuld der Bundesregierung, dass dies so ist. Aber diese fehlende Einigung dient heute zur Begründung dafür, dass sich das Bundesinnenministerium weigert, ein paar hundert Flüchtlinge mehr als vereinbart aus den Lagern in Griechenland in deutsche Städte und Bundesländer zu holen, die ihre Aufnahmebereitschaft erklärt haben.
Wenn sich in Europa herumspreche, dass alle Flüchtlinge von Deutschland aufgenommen werden, „dann werden wir nie eine europäische Lösung bekommen“, sagte Merkel jüngst dazu. Von „allen Flüchtlingen“ kann nicht die Rede sein. Aber fest steht: Die Menschlichkeit hat wieder Grenzen.
Vor fünf Jahren entschied die Bundesregierung, dass die Aufnahme in Not geratener Menschen Vorrang vor einer Einigung auf die EU-weite Verteilung haben müsse. Dann kamen Horst Seehofer, der Aufstieg der AfD, die Proteste. Heute sagt Angela Merkel das Gegenteil. Dabei weiß die Bundeskanzlerin, dass es diese europäische Lösung in unabsehbarer Zeit nicht geben wird, so lange einige europäische Staaten jegliche Aufnahme von Flüchtlingen prinzipiell ablehnen. Eine europäische Lösung ist tot. Ganz gewiss rückte sie nicht in noch weitere Ferne, wenn Deutschland ein paar hundert Menschen eine neue Heimat bieten würde. Der Verweis auf Europa dient nur noch als billige Ausrede dafür, Menschlichkeit zu verweigern.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart