Deutsch-türkische Beziehung: Ein weiterer Deutscher in der Türkei festgenommen
Der Kölner Sozialwissenschaftler Adil Demirci wurde in der Nacht zum Freitag in Istanbul in Polizeigewahrsam genommen. Er ist Mitarbeiter der Agentur ETHA.
In der Türkei wurde ein weiterer deutscher Staatsbürger festgenommen. Adil Demirci, der sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, und als Übersetzer für die Nachrichtenagentur ETHA (Etkin Haber Ajansı) tätig ist, war mit seiner Mutter im Urlaub in Istanbul. Donnerstagnacht führte die Polizei in dem Haus im Istanbuler Stadtviertel Kartal, wo er sich aufhielt, eine Razzia durch. Zur gleichen Zeit wie Demirci wurden noch zwei weitere für ETHA tätige Journalistinnen festgenommen.
Demirci, der eigentlich am Samstag mit seiner Mutter nach Deutschland zurückkehren wollte, wurde zur Anti-Terror-Abteilung im Polizeipräsidium Istanbul gebracht. Seine Anwältin Gülhan Kaya erklärte, die Polizei habe in dem Haus in Kartal keinerlei Indizien für eine Straftat gefunden, und erklärte: „Mein Mandant und seine Mutter sind wegen gesundheitlicher Probleme der Mutter für eine Luftveränderung nach Istanbul gekommen. Die Mutter ist verzweifelt. Das ist leider eine Praxis, mit der vor allem ausländische Staatsbürger es in letzter Zeit häufig zu tun haben.“ Demirci lebt mit seiner Familie in Köln und arbeitet als Sozialwissenschaftler beim Jugendmigrationsdienst Remscheid.
Kaya sagte, wegen des Ausnahmezustands sei Geheimhaltung über den Fall verhängt worden, und: „Wir verstehen das Vorgehen als Teil der Operationen gegen ETHA. Wir wissen nicht, warum er festgenommen wurde. Vermutlich geht es um Posts in den sozialen Medien, wie es in letzter Zeit häufig der Fall ist.“ Bei seiner Einreise habe es am Flugplatz keinerlei Probleme gegeben, deshalb vermutet Kaya, dass die Ermittlungen gegen Demirci erst innerhalb der letzten Woche eingeleitet worden seien. Die Ermittlungen gegen Semiha Şahin und Pınar Gayıp, die zeitgleich festgenommen wurden, bezögen sich auf eine andere Akte, so Kaya.
Derya Okatan, verantwortliche Leiterin von ETHA, erklärte, mit den jüngsten Festnahmen seien nun insgesamt fünf ETHA-Mitarbeiter*innen ihrer Freiheit beraubt: „Von der Festnahme unserer Kolleg*innen erfuhren durch die Nachbarn. Normalerweise gehört es zu den Grundrechten, dass man Anwälte und Angehörige informieren kann, wenn man festgenommen wird.“
Oppositionelle Stimmen zum Schweigen bringen
Demirci, der in Deutschland lebt, sei als Übersetzer und Korrespondent für ETHA tätig, sagt Okatan. „ETHA war bereits häufig mit Übergriffen konfrontiert, jüngst wurde die Zeitung Özgürlükçü Demokrasi unter Zwangsverwaltung gestellt. Man will die Stimmen oppositioneller Kreise zum Schweigen bringen. Wir fordern die Freilassung all unserer Kolleg*innen.“
Das Auswärtige Amt sagte der dpa, das deutsche Generalkonsulat versuche, mit Demirci in Kontakt zu treten, um ihn konsularisch betreuen zu können. Das Generalkonsulat stehe mit der Familie und den türkischen Behörden in Kontakt.
Demirci engagierte sich auch bei der Föderation der Arbeitsimmigranten aus der Türkei in Deutschland e.V. (AGIF) für gleiche soziale und politische Rechte für Migrant*innen. AGIF gab ein schriftliches Statement zu dem Fall ab: „Wir setzen alle Hebel für Demirci in Bewegung. Wenn er nicht sofort freigelassen wird, tun wir diese Haltung des türkischen Staates auf den Straßen kund.“
Die ebenfalls für ETHA tätige deutsche Staatsbürgerin Meşale Tolu war im Mai 2017 wegen „Mitgliedschaft und Propaganda in einer terroristischen Vereinigung“ verhaftet worden und erst nach acht Monaten wieder freigekommen. Tolus Verhandlung ist für den 26. April angesetzt.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!