Deutsch-polnische Bildungsstätte: Schöne Worte reichen nicht
Reden ist nicht genug, findet der neue Chef der Warschauer Stiftung für deutsch-polnische Aussöhnung - und hat sich für 2008 viel vorgenommen.
WARSCHAU taz "Wir möchten gerne Deutschlands Präsident Horst Köhler nach Skierbieszów einladen", verrät Dariusz Pawlos, der neue Chef der Warschauer Stiftung Deutsch-Polnische Aussöhnung im Gespräch mit der taz. "Natürlich wissen wir, dass das für Köhler sehr schwer sein muss, in seinen Geburtsort zurückzukehren. Aber für uns Polen wäre es so etwas wie der Kniefall Willy Brandts in Warschau."
Skierbieszów ist einer der Orte Polens, die als "Sonderlaboratorium der SS" in die Geschichte eingegangen sind. Von 1942 bis 1944 siebte die SS rund um das Renaissancestädtchen Zamosc die Polen nach rassischen Gesichtspunkten, schickte die einen zur Zwangsarbeit nach Deutschland, die anderen in KZs und Arbeitslager, ermordete viele an Ort und Stelle. Von der Bauernfamilie, die den Köhlers aus Bessarabien Platz machen musste, kamen fast alle in Auschwitz um. "Die Köhlers können nichts dafür", versichert Pawlos. "Auch in Skierbieszów wird niemand Köhler einen Vorwurf machen."
Die Stiftung, die in den letzten Jahren an über 480.000 Naziopfer und ehemalige Zwangsarbeiter knapp eine Milliarde Euro deutscher Entschädigungsgelder auszahlte und ein soziales Hilfsprogramm für rund 200.000 Opfer realisierte, setzt verstärkt auf Bildung und Forschung. "Natürlich bleibt die humanitäre Hilfe für die Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unsere Hauptaufgabe", erklärt der 38-Jährige, der selbst aus der Gegend um Zamosc stammt und das Grauen aus Erzählungen gut kennt.
Für die Überlebenden, so der Germanist und Historiker, sei die Begegnung mit anderen Leidensgenossen oft wichtiger als das Geld. Manche suchten das Gespräch mit Jugendlichen, andere wollten eine Reise in die Vergangenheit machen und Kindern und Enkeln den Ort ihrer damaligen Fron zeigen. Viele der von der SS als "rassisch wertvoll" klassifizierten Kinder erfuhren erst als Erwachsene, dass sie aus dem "Sonderlaboratorium der SS" stammen und polnische oder jüdische Eltern hatten. Sie machen sich ebenso oft auf die Suche nach ihren Wurzeln in Zamosc wie Nachkommen derjenigen Juden, die dem Ghetto und dem Vernichtungslager Belzec entkamen.
"Bislang gab es in Zamosc keine Chance für eine Annäherung von Polen, Juden und Deutschen. Es fehlte eine internationale Bildungsstätte", sagt Pawlos und deutet auf ein Papier: "Das hier ist das Konzept für ein Internationales Zentrum der Geschichte und Integration in Zamosc." Die Kombination eines Pflegeheims für NS-Opfer und einer modernen Bildungsstätte sei ungewöhnlich, entspreche aber dem Versöhnungsgedanken der Stiftung. "Es reicht nicht, nur von Versöhnung zu reden. Auch ein Scheck ist zu wenig. Versöhnung ist Kärrnerarbeit. Man muss etwas tun, und das nicht nur einmal oder zweimal."
Seit über 13 Jahren ist Pawlos nun bei der Stiftung, hat dort lange Jahre in der Revisionsabteilung gearbeitet und Opfern geholfen, deren Anträge abgelehnt wurden. Oft ist er selbst in Archive gegangen und hat nach schriftlichen Beweisen oder den Namen weiterer Zeitzeugen gesucht. "Für mich ist Versöhnung wirklich ein Herzensanliegen", sagt er. Dazu gehöre auch die wissenschaftliche Aufarbeitung. Die Stiftung habe über fünf Kilometer Akten angesammelt. Zeitzeugenberichte, Dokumente, Bilder, Tagebücher und Briefe. "Diese Materialien und unser Wissen möchten wir in die große Wanderausstellung zur Geschichte der NS-Zwangsarbeiter einbringen, die die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora gerade erarbeiten." Pawlos macht eine kurze Pause: "Aber wichtiger noch wäre für uns ein Besuch Köhlers in Skierbieszów."
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