„Deutsch-nationales Strauchrittertum“

Hamburg vor 75 Jahren: Arbeiterdemo gegen Rechts fordert blutige Opfer  ■ Von Kay Dohnke

Am Morgen des 1. Juni 1922 entdeckt ein Obergärtner des Ohlsdorfer Friedhofes etwas Merkwürdiges: Das Denkmal für die Opfer der Novemberrevolution ist rußgeschwärzt. Zwei seltsame Kupferrohre ragen aus dem Boden. Die herbeigerufene Polizei findet in einer vergrabenen Keksdose eine fachgerecht gefertigte Bombe, deren Zünder jedoch folgenlos abgebrannt ist.

Ein weiteres Sprengstoffattentat noch in derselben Nacht hat mehr Erfolg: Eine Explosion im Schaufenster der kommunistischen Hamburger Volkszeitung setzt die Auslagen in Brand. Zwei Löschzüge der Feuerwehr retten das Gebäude an der Börsenbrücke. Die Ziele der Anschläge lassen Rückschlüsse auf die Täter zu. Anderntags schreibt das Hamburger Echo vom „Strauchrittertum deutsch-nationaler Kreise“, das nun auch an der Elbe gefährliche Formen annehme.

Schon lange herrscht im rechten politischen Spektrum der Weimarer Republik große Gewaltbereitschaft. Mit dem Kapp-Putsch im März 1920 hatten ehemalige Reichswehrangehörige ihren Haß auf die Demokratie demonstriert, mit dem Mord am ehemaligen Finanzminister Erzberger im August 1921 hatten sie ihre Skrupellosigkeit offen gezeigt. Noch während des laufenden Prozesses gegen den Erzberger Attentäter erfolgt am 4. Juni ein Säureattentat auf den ehemaligen Regierungspräsidenten Scheidemann.

In Hamburg setzt eine Welle der Gewalt gegen Links ein. Am 3. und erneut am 13. Juni 1922 detonieren Sprengsätze vor der kommunistischen Buchhandlung Carl Hoym in der Admiralitätstraße. Drei Tage später, am 16. Juni, brennt es wieder in der Volkszeitung, und in der Nacht zum 18. Juni richtet eine mit Zeitzünder versehene Handgranate vor der Wohnung des KPD-Abgeordneten Ernst Thälmann in der Siemsenstraße Gebäudeschaden an. Gleich vier Bomben werden am 22. Juni vor dem Haus der Freideutschen Jugend in der Johnsallee gelegt, von denen jedoch nur eine explodiert.

Zwei Tage später erreicht die anti-republikanische Gewalt ihren Höhepunkt, als in Berlin Außenminister Walther Rathenau erschossen wird. Im allgemeinen Schock bleibt die Meldung der Hamburger Polizei zunächst unbeachtet. Sie hat die „Schwarzpulververschwörung“aufgedeckt: Der kaufmännische Volontär Emil Sander habe die Bomben gebaut, heißt es, und unter der Regie des Handlungsgehilfen Friedrich Warnecke hätten Freunde sie gelegt. Haussuchungen bringen Belege für die Verbindung der „Sprengkolonne Warnecke“zu rechten Kreisen um die Organisation Consul. Ein geplantes Attentat auf den Bankier Max Warburg kann vereitelt werden.

Für den 26. Juni rufen Hamburgs Sozialdemokraten dann zu einer Massenaktion der Arbeiterschaft auf. Am frühen Nachmittag schließen die Geschäfte, und immer zahlreicher ziehen Menschen mit roten und schwarz-rot-goldenen Fahnen durch die Straßen Richtung Heiligengeistfeld. Von mehreren Tribünen rufen Redner von SPD und KPD zur Verteidigung der Republik gegen die „Pervertierung der politischen Sitten“auf.

Doch nicht bei den Bombenanschlägen, sondern bei diesem Massenprotest der Arbeiter gegen Rechts fließt in Hamburg erstmals Blut. Als aufgebrachte Arbeiter am Millerntor in die Bannmeile eindringen und den Hügel am Bismarck-Denkmal stürmen wollen, läßt ein Polizeioffizier in die Menge schießen. Es gibt einen Toten und drei Verletzte.

Erst nach weiteren Großdemonstrationen handelt die Regierung in Berlin endlich: Ein „Gesetz zum Schutz der Republik“wird erarbeitet und tritt Mitte Juli 1922 in Kraft. Allein in Hamburg werden anschließend 24 rechte Organisationen verboten. 25 Personen aus dem Umfeld des „Sprengkommandos Warnecke“, das ursprünglich auch den Rathenau-Mord ausführen sollte, werden als Mitglieder der Organisation Consul entlarvt und wandern hinter Schloß und Riegel. Die meisten von ihnen allerdings nur für kurze Zeit.