Deutsch-französisches Kulturprojekt: Freundschaft und Neugierde

Zum 50. Jubiläum des Elysee-Vertrags entstand die Transfabrik, ein wanderndes, multidisziplinäres Festival. Zu seinem Abschluss wird in Paris getanzt.

Szene aus "The Nikel Project - Songs & Poems". Bild: Lynn Bruggemann

Charles de Gaulle und Konrad Adenauer sind als Architekten der deutsch-französischen Zusammenarbeit abgebildet auf einer Zwei-Euro-Münze, aufgelegt zum 50. Jubiläum des Elysee-Vertrags in diesem Jahr. Ich zahle mit ihr in einem Cafe in Paris, eingeladen von Transfabrik. In Transfabrik, einem Hauptprogramm im Rahmen des Jubiläums, dreht sich alles um den Tanz zwischen Deutschland und Frankreich. Sechs Städte profitieren seit März davon, Brest, Hamburg, Essen, Berlin, Metz und Saarbrücken. Letzte Station ist Paris, bis Ende Juni.

Das „Trans“ in Transfabrik steht nicht nur für den Austausch über die Grenze, sondern auch zwischen den Künsten. Daran arbeiten die drei Tänzer von Mamaza mit zwei Musikern des Ensembles Nikel. Ihr Stück „The Nikel Project – Songs & Poems“, das am Mousonturm in Frankfurt herauskam, ist in Paris Teil der Reihe „Rencontre Choreographiques“ im Centre National de la Danse.

Seit neun Jahren residiert das Centre in einem brutalistischen Betonbau in Saint-Denis, am Pariser Stadtrand. Wer zum Tanzhaus kommt, lässt sich fast auf der Straße erkennen. Das sind die mit den konturierten Kurzhaarschnitten und den expressiven Brillen. So sieht Tanzpublikum auch in Berlin aus.

„The Nikel Project“ ist ein bezauberndes Stück, das dem Minimalismus der Gesten eine oft verschrobene Komik abgewinnt. Wir hören das Surren eines handbetriebenen Fahrrads, das Ratschen eines Vorhangs, quietschende Geräusche von gespitzten Lippen, das Schieben einer Bank, das Klatschen von Händen und Füßen auf dem Boden. Drehungen werden auf einer Arschbacke ausgeführt, mit einer Gitarre und einer Gitarrenhülle, die im Kreis über den Boden gezogen werden und schließlich von einem Tänzer, der an den Armen eines Musikers im Kreis geschleudert wird.

Intimität und Konkurrenz

Die Partitur der Geräusche und Bewegungen findet dabei immer wieder neue Übersetzungen, die Dynamik verändert sich, Momenten der Intimität folgen Situationen der Konkurrenz und Erregung. Hören und Sehen schieben nicht immer die gleichen Vorstellungen an, aus dem Ungleichen gewinnt das Stück seine Überraschungen.

War der Ton oder das Bild zuerst da, die Musik oder der Tanz – das eben lässt sich bei „The Nikel Project“ nicht mehr sagen. Für die Choreografin Gisèle Vienne, deren Stück „The Pyre“ (dt.: der Scheiterhaufen) am nächsten Tag im Centre Pompidou läuft, sind die Referenzsystemen in anderen Künsten existentiell.

Schon mehrfach hat sie mit dem amerikanischen Autor Dennis Cooper zusammengearbeitet. Um schärfer zu bekommen, wann ein Körper zum Bild wird, wann zu einer Figur und Teil einer Narration, und wie seine Präsenz sich von dieser Belegung mit Bedeutung wieder befreien kann, hat sich Gisèle Vienne für „The Pyre“ eine ungewöhnliche Konstruktion ausgedacht.

Am Anfang wird eine Erzählung als Buch verteilt, das man nach der Aufführung lesen kann. Der Text tritt dann in eine schillernde Beziehung zum Spektakel. Denn er schlägt unterschiedliche Lesarten vor und geht dem Tanzstück einerseits voraus, spinnt andererseits die Erfahrung des Sehens und Hörens fort.

Wie in einer Space-Odysee

Das klingt nach einer bemühten Konstruktion, um Konventionen aufzubrechen. Das ist es auch, aber auch der Mühe wert. Denn Vienne erzeugt sehr eigene und eigenartige Welten. „The Pyre“ ist in einem Tunnel aus LED-Leuchten situationiert, Lichtflecken treiben anfangs auf einen zu wie in einer Space-Odysee. Einen ähnliche Sog entwickelt der elektronische Sound von Stephen O’Malley und Peter Rehberg. Gegen die konstante Drift dieser Raumzeit bewegt sich die Tänzerin Anja Röttgerkamp mit einer Langsamkeit, die bald das gewohnte Zeitempfinden außer Kraft setzt.

In silbernen Schuhen und glänzendem Trikot bilden ihre langen Glieder zeitweise bloß reflektierende Linien des wandernden Lichts. Sie schiebt sich in Positionen, die an Skulpturen des Kubismus erinnern, ist mehr Bild als Person, mehr Form als Figur. Eine ungeheure Einsamkeit umgibt sie dabei, so verlassen in diesem gedehnten Raum, dieser gedehnten Zeit. Traurigkeit ist die erste Emotion, die man mit ihrer Figurwerdung verbindet. Und ist dann verstört von den Pin-Up-Posen, den extrem sexualisierten Zurschaustellung ihres Körpers, in die die Tänzerin als nächstes gleitet.

In einem kurzen Teil der Aufführung kommt ein Junge hinzu, an ihrer Einsamkeit ändert das nichts. Mit ganz wenigen Gesten wird eher eine Geschichte von kurzer Begegnung und harscher Zurückweisung angedeutet, in der der Junge sowohl die Rolle eines Kindes wie die eines Mannes darstellen könnte. Diese Überschreibung eines Bildes durch ein anderes setzt sich dann vielfach fort, wenn man Coopers Geschichte liest.

Sie könnte die Mutter des Jungen sein, die der Vater umgebracht hat. Sie könnteeine Nackttänzerin mit einer bipolaren Störung sein. Cooper hat viele Varianten parat, auch die eines Schriftstellers, der von seiner Mutter besessen ist. Alle Varianten sind von Gewalt und Exzess gezeichnet. Da ist man dankbar für Viennes distanzierten Umgang mit dem Material.

Anerkennung aus Deutschland

Gisèle Vienne stammt zwar aus Frankreich, erfuhr Anerkennung als Künstlerin aber zunächst mehr in Österreich und Deutschland. Das war für Serge Laurent, der sie ins Centre Pompidou eingeladen hat, ein Grund mehr, sie gerade im Rahmen von Transfabrik vorzustellen. Auf den Programmen im Centre Pompidou und im Centre National de la Danse ist das Logo Transfabrik übrigens nur klein zu finden. Das Festival ist ein etwas verborgener Schatz. Der aber jedem der 11 beteiligten Veranstalter finanziellen Spielraum gab, für sein Haus Neues zu programmieren.

Ein einziges Stück nur lief in allen beteiligten Städten, „M:M“ von Laurent Chetouane, ebenfalls ein Künstler aus Frankreich, der in Deutschland bisher bekannter war als dort. „M:M“ ist die Begegnung zweier Tänzer, Mikael Marklund und Matthieur Burner, die zu einem Violinkonzert von Beethoven ihre Freundschaft zelebrieren.

Zwar sind ihre sich umkreisenden Bewegungsfiguren nahe am Ballett gebaut, unterlaufen aber mit steten Understatement deren Leistungsnorm. Alles bleibt Andeutung, auch die erotische Spannung zwischen ihnen. Dem Begriff der Freundschaft liefert dieses Stück ein Bild voller Leichtigkeit und Neugierde.

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