Designierte US-Notenbankchefin: Unerschrocken und klug
Janet Yellen ist nach dem Rückzug des bisherigen Favoriten wohl die nächste Chefin der Fed. Sie hatte als Erste die Finanzkrise als Rezession bezeichnet.
BERLIN taz | Zwei Eigenschaften haben Janet Yellen berühmt gemacht: Die 67-jährige Ökonomin hat meistens recht – und sie agiert sehr selbstständig. Eine typische Szene ereignete sich im Oktober 2008: Die Investmentbank Lehman Brothers war bereits zusammengebrochen, aber US-Notenbankchef Ben Bernanke scheute sich einzugestehen, dass die amerikanische Wirtschaft schrumpfte. Also nahm Yellen als Erste das hässliche R-Wort in den Mund: Die USA befänden sich in einer Rezession, erklärte sie im Abendkleid bei einem Dinner – und alle Sender der Nation brachten diese Nachricht. Denn Yellen war damals Notenbank-Chefin in San Francisco.
Die Reaktion der Börsen folgte prompt: Der US-Aktienindex Dow Jones verlor damals rund 733 Punkte – das war der zweitgrößte Tagesverlust in seiner Geschichte.
Jetzt, fünf Jahre später, ist es genau anders herum: Die Börsen legten weltweit zu, sobald sich die Nachricht verbreitete, dass Yellen nächstes Jahr die neue Notenbank-Chefin werden könnte, weil der bisherige Top-Favorit Larry Summers seine Kandidatur zurückgezogen hat.
Yellen gehört zu den einflussreichsten Ökonomen der USA. Sie ist Absolventin von Yale, war Wirtschaftsprofessorin in Berkeley, hat in Harvard und an der London School of Economics unterrichtet. Von 1997 bis 1999 war Yellen die ökonomische Chefberaterin von US-Präsident Bill Clinton. 2004 wechselte sie zur US-Notenbank Fed, seit 2010 ist sie dort Vizechefin.
Akademisch plausibel
Die Notenbankerin ist mit dem Nobelpreisträger George Akerlof verheiratet. Sein „Saure-Gurken-Problem“ von 1970 gehört zu den am häufigsten zitierten Erkenntnissen der Ökonomie und ließ sich auch bestens anwenden, um die Finanzkrise und den Vertrauensverlust zwischen den Banken zu erklären. Denn Akerlof beschreibt, wie ein Markt zusammenbrechen kann, wenn die Käufer glauben, dass die Verkäufer entscheidende Informationen zurückhalten.
Für das Nobelpreiskomitee in Stockholm hat Akerlof einmal dargelegt, wie er Janet Yellen 1977 in Washington kennenlernte. „Wir mochten uns sofort und beschlossen, gleich zu heiraten.“ Die Zusammenarbeit des Paars hat der Nobelpreisträger James Tobin so beschrieben: Akerlof entwickle ständig neue Ideen – und Yellen bringe diese dann „in eine akademisch plausible Form“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin