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Deshalb taz

Die Medienkonzentration wird in den kommenden Jahren immer weiter zunehmen. Wirklich unabhängige Medien werden deshalb immer wichtiger, findet Dave Eggers

Essay Gestern habe ich mit einem 23-jährigen Hochschulabsolventen telefoniert. Ich hatte ihn noch nie getroffen, aber er war der Sohn eines alten Freundes und brauchte einen Rat. Er hatte gerade sein Studium abgeschlossen und wollte wissen, ob und wie er als Schriftsteller, Redakteur oder Journalist in der Medienlandschaft des Jahres 2025 leben könnte. Diese erscheint derzeit bestenfalls apokalyptisch.

Mir ist bewusst, dass der Rest der Welt unser Land, die USA, und unsere Medien mit Entsetzen und Furcht betrachtet. Kommentatoren werden am helllichten Tag erschossen. Talkshowmoderatoren werden aus dem Programm genommen, weil sie Witze machen, die dem Präsidenten nicht gefallen. Die staatliche Finanzierung für unzählige öffentlich-rechtliche Radio-, Fernseh- und akademische Programme wird gestrichen. Zeitungen und Zeitschriften sterben massenhaft, da das seit 150 Jahren vorherrschende Werbemodell durch das Internet zerstört wurde. Bald wird Tiktok einem Trump-freundlichen Milliardär gehören, der versprochen hat, die Plattform so zu regulieren, dass nur noch ihm genehme Meinungen verbreitet werden.

Und doch bleibe ich hoffnungsvoll und habe versucht, diesen jungen Mann ebenfalls davon zu überzeugen. Denn mehr als je zuvor in den letzten 80 Jahren wird eine unabhängige Presse unerlässlich sein, damit die demokratischen Nationen der Welt diese Epoche überstehen, in der erschreckend viele Demokratien erneut mit dem Faschismus liebäugeln.

Seit einiger Zeit habe ich die Theorie, dass in jedem Land, egal wie industrialisiert oder politisch frei es ist, gut 40 Prozent der Bürger den Faschismus der Demokratie vorziehen würden, wenn dies bedeuten würde, dass ihre Positionen – vor allem in Bezug auf Einwanderung und Kriminalität – ohne Reibungsverluste durchgesetzt würden. Ich bezeichne diese Gruppe als die „Faschistischen 40“. Die USA erleben gerade die erste Phase, in der es dieser historisch (manchmal nur knapp) unterdrückten Wählergruppe endlich gelingt, Macht zu erlangen und auszubauen.

Die „Faschistischen 40“ interessieren sich nicht für eine freie Presse. Die „Faschistischen 40“ wollen keine gegensätzlichen Meinungen – das wäre zu chaotisch. Tatsächlich, so betonen sie, könnten unterschiedliche Meinungen sogar zu politischer Gewalt führen. Besser sei es, würden wir mit einer einzigen, einheitlichen Stimme sprechen, und zwar mit den Worten unserer Führer, die es schließlich am besten wüssten.

Die „Faschistischen 40“ sind froh, wenn sie maskierte, bewaffnete Männer auf den Straßen sehen, die Einwanderer oder diejenigen, die wie Einwanderer aussehen, entführen und verschwinden lassen.

Die „Faschistischen 40“ stehen der Inhaftierung von Demons­tranten und dem Einsatz des Militärs in Städten, die nicht für ihren Führer gestimmt haben, optimistisch gegenüber. In den USA sind die „Faschistischen 40“ bereit, sich anzupassen, falls Trump aufgrund nationaler Unsicherheit oder einer von ihm inszenierten Krise die Wahl 2028 absagt.

Ich kann nicht erklären, warum eine Demokratie wie die unsere die älteste der Welt von 40 Prozent ihrer Einwohner zugunsten einer Autokratie aufgegeben werden würde. Ich kann nur sagen, dass die Anziehungskraft des Faschismus eine viszerale, instinktive Sache ist, während die Akzeptanz der Demokratie in ihrer ganzen Komplexität einen wachen und flexiblen Geist erfordert. Wir brauchen mehr Menschen mit dieser Haltung, aber es erfordert Arbeit, offen und einfühlsam zu bleiben, und ständige Weiterbildung. Es ist daher kein Wunder, dass US-Faschisten, wie Faschisten überall, alles tun, um Bildung zu verhindern. Das ist schlecht fürs Geschäft. Kürzlich wurde berichtet, dass der Anteil der Republikaner im US-Repräsentantenhaus mit einem Hochschulabschluss einer Eliteuniversität auf 15 Prozent gesunken ist. Vor fünfzig Jahren waren es noch 40 Prozent. Die Rechte wird gleichzeitig dümmer und stärker.

Offen und einfühlsam zu bleiben, erfordert Arbeit

Die einzige Hoffnung gegen die „Faschistischen 40“ ist es, die „Mittleren 20“ zu beeinflussen. In den USA gibt es einen Block von 40 Prozent zuverlässig informierter liberaler Wähler. Dann gibt es die „Mittleren 20“: Wechselwähler, die zuerst Reagan, dann Clinton, dann Bush I und II und schließlich Obama gewählt haben. Sie sind formbar. Sie hören zu. Und es gibt sie überall auf der Welt. Sie sind offen dafür, informiert, überzeugt und sogar inspiriert zu werden.

Deshalb ist das Fortbestehen der taz so wichtig. Ob auf Papier oder auf Bildschirmen: In den kommenden Jahren, in denen die Medienkonzentration immer weiter zunehmen wird, werden wirklich unabhängige Medien immer wichtiger. Denken Sie daran: Der größte Teil der Macht, die Autokraten in Politik und Medien haben, ist die Macht, die wir ihnen gegeben haben. Wann immer möglich, sollten wir uns daher von den Medienkonzernen abwenden, die sich allzu oft den Autokraten beugen und so schnell zu Staatsmedien werden. Stattdessen sollten wir unsere Zeit, unser Geld und unsere Aufmerksamkeit denen widmen, die darauf bestehen, frei, unabhängig und furchtlos zu bleiben.

Das habe ich diesem 23-Jährigen gesagt. In vielerlei Hinsicht ist dies eine schreckliche Zeit, um in den Journalismus und das Verlagswesen einzusteigen. Aber genau das macht diese Arbeit so dringend. Schreckliche Zeiten brauchen aufgeklärte Köpfe, sagte ich ihm, und drängte ihn, sich dem Kampf anzuschließen.

Dave Eggers, Schriftsteller, Verleger und Drehbuchautor, lebt in Kalifornien. Er ist Gründer des unabhängigen Verlags ­McSweeney und Herausgeber einer Literaturzeitschrift. Sein Roman „The Circle“ war ein internationaler Bestseller.

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