HörbücherUmberto Ecos letzter Roman und Erzählungen von Erich Kästner: Des Thrills wegen
Je mehr einer weiß, desto mehr sind die Dinge bei ihm nicht zum Besten gelaufen.“ Denn: „Die Verlierer haben ein viel größeres Wissen als die Sieger. Wenn du Sieger bist, darfst du nur das eine wissen und keine Zeit verlieren“, sagt der Journalist Colonna in Umberto Ecos letztem Roman, „Nullnummer“. Und er weiß, wovon er spricht. Er ist fünfzig Jahre alt und kann es sich nicht leisten, ein fragwürdiges Angebot abzulehnen: Der Commendatore Vimercate heuert ihn an, eine Zeitung zu produzieren, die eventuell nie erscheinen wird. Nebenher soll er als Ghostwriter über diesen Vorgang ein Enthüllungsbuch schreiben.
In den diversen Nullnummern des Domani (Morgen) betitelten Blatts sind weniger aktuelle Nachrichten Thema. Vielmehr werden Gerüchte über die bessere Gesellschaft in handfeste Wahrheiten verwandelt. Verschwörungstheorien werden gesponnen, die in ihrem staatstragendem Ausmaß in keinem Verhältnis stehen zur Relevanz eines Zeitungsdummys. Eco, der im Februar mit 84 Jahren verstorbene italienische Autor und Literaturwissenschaftler, gibt sich keineswegs altersmilde. Er nutzt dieses absurde Ungleichgewicht als Plattform, um ernüchternde Fakten über journalistische Praktiken im Speziellen und gesellschaftliche Wesenszüge im Allgemeinen an den Pranger zu stellen.
Felix von Manteuffel changiert in seiner Lesung versiert zwischen Ironie und bitterem Ernst. Damit lotet er die Unterschiede aus zwischen unterhaltsamen Allgemeinplätzen mit Aha-Effekt und desillusioniertem Abgesang auf eine Gesellschaft, die sich nur des kurzen Thrills wegen gern von vorn bis hinten bescheißen lässt.
Eco hat die Geschichte im Jahr 1992 angesiedelt, also vor dem Siegeszug des Internet (es musste also noch „von Hand“ recherchiert werden), und dem Aufstieg Silvio Berlusconis vom Medienzaren zum Machtpolitiker. Eco macht deutlich, dass Medienmanipulation keine Erfindung Berlusconis war. Auch bietet der Roman Raum für hanebüchene Statements wie: „Das Handy wird sich niemals durchsetzen“. Doch nicht nur Paranoikern vergeht das Lachen bei der Erkenntnis, dass Wahrheit auch nur eine Ware ist, die vor dem Verkauf je nach Anforderung zurechtgedreht wird. (Umberto Eco, „Nullnummer“, 5 CDs, 366 Min., vollständige Lesung, der Hörverlag)
Auch Erich Kästner nahm in seinen Werken Bezug auf das Weltgeschehen, allerdings stets verklausuliert und oftmals in das schützende Mäntelchen des Komischen gehüllt. Und so gehören auch die meisten der Erzählungen, die der Herausgeber Sven Hanuschek in dem Sammelband „Der Herr aus Glas – Unbekannte Geschichten eines erstaunlichen Erzählers“ zusammengestellt hat, ins komische Fach.
Der Schauspieler Nico Holonics trägt sie angenehm nüchtern vor. Mit nur kleinen stimmlichen Veränderungen vermag er es, seine Hörer in die Mikrokosmen der kurzen Geschichten hineinzuziehen. Besonders große Freude bereiten „Die Reisen des Amfortas Kluge“. Hier erstaunt Kästner mit aberwitzig grotesken Gags und Anleihen im Science-Fiction-Genre.
Die eher moralische Seite Kästners kommt in Erzählungen wie „Inferno im Hotel“ – dem „Urtext“ des Romans „Drei Männer im Schnee“ – zum Ausdruck. Dort wird ein Arbeiter, der einen Urlaub im Luxushotel gewonnen hat, von den hochnäsigen Angestellten so malträtiert, dass er sich das Leben nimmt. Die Entstehungszeit der Texte reicht von den zwanziger bis in die fünfziger Jahre, viele von ihnen „probieren“ Themen aus, die Kästner auch in seinen Kinderromanen verwendete. Erschienen sind sie nur in Zeitungen. In seinem (etwas sehr klein gedruckten) Nachwort ordnet Herausgeber Hanuschek sie in Kästners Gesamtwerk ein und ist dabei bedacht, den Autor von dem gängigen Vorwurf zu befreien, er hätte die NS-Diktatur überlebt, „ohne ein politisches Wort zu äußern“. Das erledigen die Erzählungen aber schon selbst, man muss nur genau hinhören. Wären die Texte mit den Daten ihrer Veröffentlichungen versehen worden, fiele das noch leichter (Erich Kästner, „Der Herr aus Glas“, Atrium Audio, ca. 438 Min.). Sylvia Prahl
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