piwik no script img

Der zeozwei Wochenüberblick #19Lebensirrtum der Grünen-Wähler?

Die besten Bücher für einen Sommer des Lesens und des Lebens. Darunter auch: Hartmut Rosas spektakuläres Werk „Resonanz“.

Nichts gegen Krimis, nichts gegen Belletristik, schon gar nichts gegen großartige Literatur. Aber? Jetzt kommt kein Aber, sondern ein komplementärer, ein ergänzender Gedanke.

Auch Sachbücher können einen Rausch erzeugen und ein ganz großes Gefühl, das nicht Weltflucht heißt, sondern das Gegenteil bedeutet: Man rückt beim Lesen, beim Denken, plötzlich ganz nahe an die Welt heran. Weil da eine Idee auftaucht, mit deren Hilfe sie sich plötzlich besser, anders oder neu erschließt. Eine Idee, mit der man tatsächlich überzeugt ist, die Welt verändern zu können.

So ging es mir beim Lesen von „Resonanz“, dem neuen Buch des Jenaer Soziologen Hartmut Rosa. „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung“, lautet der erste Satz. Und der zweite: „Dies ist die auf die kürzest mögliche Formel gebrachte Kernthese dieses Buches.“ Das bedeutet: Der moderne Mensch denkt, er müsse ständig seine Weltreichweite, also seine Ressourcen vergrößern (Wissen, Kontakte, Sozialprestige, Geld, Körperoptimierung).

Kein esoterisches Geschwurbel

Es ist auch zweifellos hilfreich, Geld zu haben und nicht kein Geld. Leben kann man aber nicht sammeln. Das permanente Akkumulieren von Kapital kann sogar ein gutes Leben verhindern. Lebendig sein, also im Inneren Resonanz zu spüren, geht nicht durch Aneignung von Stoff, sondern durch positive Beziehungen zum Äußeren.

Wer nun denkt, das sei wohl ein esoterischer Schwurbel oder eine neue Variante des "Weniger ist mehr"-Geredes: Weit gefehlt. Rosa liefert den Missing Link zwischen den soziologischen und politischen Gegenwartsanalysen und einem selbst.

Am Ende hat man wirklich verstanden, warum Grünen-Wähler den größten Weltverbrauch haben. Weil sie ihren politischen Zielen nicht trauen. Weil auch sie in dem Irrtum gefangen sind, dass Veränderung nichts mit ihrer Weltbeziehung zu tun hat.

Die ökosoziale Dimension

Bei Rosa versteht man erstmals wirklich, wie man in das neue Zeitalter kommt. Genauso wie man vom Mittelalter in die Moderne kam. Durch eine grundsätzliche Veränderung der Weltbeziehung.

Es ist die Voraussetzung, um ein anderes und damit besseres Leben zu führen. „Besser“ oder „Gut“ eben nicht in der Variante des als identitätspolitisch-emanzipatorischem Linksliberalismus camouflierten Superindividualismus.

Sondern „gut“ in seiner ökosozialen Dimension als ein Leben, das tatsächlich besser gelingt – für einen selbst und deshalb auch im Hinblick auf eine globalgesellschaftlich gute Zukunft. Der Mensch wächst, weil er sich qualitativ mit der Welt verbindet.

Rosas Buch kann Leben wirklich zum Besseren verändern, das ist spektakulär. Und in der neuen Ausgabe von zeozwei (Link) empfehlen wir noch mehr großartige Sachbücher, wobei „Sachbuch“ der völlig falsche Begriff ist. Die zeozwei Buchliste Sommer 2016 empfiehlt vielmehr 10 Bücher, die Lebenbücher sind, Zukunftbücher. Bücher, die Zukunft in die Welt bringen. Für einen Sommer des guten Lesens und des guten Lebens.

PETER UNFRIED, Chefredakteur der zeozwei

• Fragen, Beiträge, Themenscouting? unfried[at]taz.de

• zeozwei auf Twitter folgen? @zeozwei

Den zeozwei Wochenüberblick vom zeozwei-Chefredakteur Peter Unfried können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen