■ Der „wahre“ Wahlkampf beginnt: Volx-Kandidat
Demokratie ist bekanntlich die Herrschaft des Volkes. In Berlin hingegen sind nicht „wir“ das Volk, es ist der real existierende Eberhard Diepgen. Dieser Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit soll nun nicht länger ein unaufgehobener bleiben. Seit Samstag ist es amtlich: Neben dem schwarzen Diepgen und seiner roten Herausforderin Stahmer tritt ein schwarzroter Volxmusiker im Kampf um die Stimme des Volkes an – der „wahre Heino“ alias Norbert Hähnel.
Bis zuletzt verstanden es die Wahlkampfmanager der Heino- Partei KPD/RZ („Kreuzberger Patriotische Demokraten – Realistisches Zentrum“), die Öffentlichkeit im irrigen Glauben zu lassen, die demokratisch geübten Spaßterroristen träten nur zur Kommunalwahl in Kreuzberg an. Mit der am Wochenende bekanntgegebenen Landesliste sind sie freilich mehr als nur eine kommunale Konkurrenz zur örtlichen PDS. Spätestens seit die KPD/RZ mit ihrem Aufmarsch gegen die „nächtliche Ruhestörung“ am 1. Mai 1993 mehr Teilnehmer vereinigte als die revolutionäre Konkurrenz, haben die Spontis das Vertrauen der Kreuzberger Wahlbevölkerung wiedergewonnen.
Neben Heino tritt auch Bela B. in den Kampf um Wählerstimmen. Der nicht immer femitaugliche Frontmann der Ärzte hatte schon vor geraumer Zeit zu erkennen gegeben, daß sein „Schrei nach Liebe“ von den Grünen unerhört blieb. Seine Hoffnung: Auch auf der politischen Bühne einmal nach Herzenslust „Arsch- Loccchhh!“ skandieren zu dürfen.
Unklar blieb am Wochenende lediglich, ob das Zustandekommen der Landesliste nach den demokratischen Gepflogenheiten erfolgte. Wie die taz aus Parteikreisen erfuhr, gehe man jedoch davon aus, daß die Wahl Heinos zum Regierenden auch für den Fall gültig sei, daß der Wahlleiter nach Hamburger Art den Urnengang für nichtig erklärte.
Was sich die KPD/RZ vom Einzug in das Kreuzberger Bezirksparlament und das Abgeordnetenhaus verspricht und mit welcher Delegation die Kreuzberger Patrioten in die Verhandlungen zur Abschaltung aller Ampeln gehen wollen, werden sie uns alsbald im Interview erklären. Das Wahlprogramm der Partei („Blücherplatz- Papier“) jedenfalls hat, anders als bei den etablierten Parteien, den Fall der Mauer (Wände) überstanden. Gefordert werden darin unter anderem der Bau eines Internationalen Kongreßzentrums auf dem Görlitzer Bahnhof, der Wiederaufbau der Zeppelin-Industrie, die Umwandlung des Mehringdamms in eine Gras-Ski-Bahn und zu guter Letzt auch Ideologisches: eine Städtepartnerschaft Kreuzberg/Tripolis. Uwe Rada
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