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taz FUTURZWEI

Der taz FUTURZWEI-Kommentar ​Sozis für Merz!​

Nach der krachend verlorenen Bundestagswahl muss die SPD Staatsverantwortung durch unsozialdemokratische Unterstützung eines CDU-Bundeskanzlers zeigen.

Das historische Tief der SPD bietet immerhin auch Anlass zur Neuorientierung Foto: dpa | Michael Kappeler

taz FUTURZWEI | Die SPD ist zu einer kleinen Funktionspartei im politischen Machtgefüge geworden. Das und nichts anderes folgt aus den 16,4 Prozent-Ergebnis der Bundestagswahl. Daran ändert auch der klare Gewinn der Hamburger Bürgerschaftswahl nichts. Das Mandat der Bundesbürger für die SPD ist auf Mehrheitsbeschaffung für eine von der CDU geführte Regierung ausgelegt, auf sonst wenig. Das ist allerdings eine nur schwer auszuhaltende Rolle für die SPD.

Aber, sagt Sigmar Gabriel in der Berliner Zeitung: „Noch nie in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik hat eine deutsche Regierung so viel Verantwortung für den Fortbestand unserer Demokratie auf ihren Schultern gehabt, wie die Kommende.“ Deshalb dürfe weder die CSU mit den üblichen „Sonderwünschen“ daherkommen, noch die SPD „ständig Opposition in der Regierung“ spielen.

Wie schon oft in der jüngeren, deutschen Geschichte kann die SPD ihr historisch gestähltes Bewusstsein von Staatsverantwortung und Regieren-Können zeigen, aber diesmal durch Zurückhaltung und Unterstützung eines Bundeskanzlers Friedrich Merz, auch wenn dafür sozialdemokratische Positionen abgeschwächt oder zurückgestellt werden müssen. Mit einem solchen Kurs könnte die SPD sogar verloren gegangenes Vertrauen jenseits der eigenen Altkader zurückgewinnen. Wenn die SPD allerdings in einer der größten Krisen und Bedrohungen des Friedens mit der CDU über Gedöns und Tüddelkram verhandeln sollte, bevor sie nach einer scheindemokratischen Mitgliederbefragung doch nölend in eine Regierung eintritt, würde sie ihren weiteren Absturz nur beschleunigen.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Die Merz-Regierung hat drei Hauptaufgaben und die verlangen von der SPD einen Kurswechsel, der Zumutungen für ihre Parteimitglieder und alle Bürger enthält. Die Ukraine muss die Waffen, etwa den Taurus, bekommen, mit denen sie die russischen Angriffe wirklich aufhalten können. Es braucht europäische Sicherheitstruppen inklusive deutscher Soldaten für das Absichern eines von den USA erzwungenen Waffenstillstands. Die Wehrpflicht muss wiedereingeführt werden. Mit einer europäischen, nuklearen Abschreckungsmacht muss die bisher völlige Abhängigkeit vom amerikanischen Nuklear-Schutzschirm ersetzt werden.

Der Weg zu europäischer Souveränität und Staatlichkeit muss nach der blockierenden Europa-Politik der Kanzler Merkel und Scholz wieder gegangen werden. Schließlich muss die Stabilisierung der europäischen Wirtschaft durch staatliche Investitionshilfen finanziert werden, direkt aus dem Haushalt oder über Steuersenkungen. Eine Einigung auf diesen Politikfeldern erscheint bei gutem Willen beider Seiten möglich.

Allerdings muss die Finanzierung dieser Schritte auch für die SPD Priorität vor Erweiterungen aktueller und neuer Leistungen im Sozialsystem haben. Für die nächsten Jahre ist auf allen Feldern des öffentlichen und privaten Lebens Schmalhans angesagt. Mehr Netto vom Brutto wird es nicht geben, eher weniger.

Für wirklichkeitsfremde Versprechen von einem besseren Leben mit einer immer noch weiter vertieften Verteilungsgerechtigkeit gibt es jetzt die wieder erstarkten Linken. Jeder Versuch der SPD mit ihnen auf diesem Feld in einem Überbietungswettbewerb zu konkurrieren, würde sie nur noch tiefer in ihren Abwärtsstrudel reißen.

Anders gedacht hat die SPD jetzt beim Mitregieren die Chance ihre Sozial- und Gesellschaftspolitik jenseits einer nur monetär gedachten Vollversorgung neu aufzustellen. Leitgedanke einer solchen Politik könnte Effektivität und sichere Versorgung durch optimierte Strukturen des Sozialstaates sein. Der bisherige SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat diesen Ansatz mit seiner Krankenhausreform beispielhaft vorgeführt.

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Es geht eben nicht darum, jedes kleine Krankenhaus mit öffentlichen Mitteln zu erhalten, was immer es kostet und wie suboptimal es arbeitet. Stattdessen kommt es darauf an, streng auf Qualität konzentrierte und größere Strukturen aufzubauen – und zwar für alle, ganz gleich, wo sie leben und wo sie versichert sind. In diesen Strukturen kann dann kostengünstiger gearbeitet werden und fortlaufende Beitragssteigerungen abgewendet.

Das hier mal als Mahnung an die Verhandler der SPD: Das Gesundheitsministerium dürft ihr nicht hergeben. Den Gesundheitsminister auch nicht. Karl Lauterbach hat mit seiner strengen Strukturpolitik anstelle einer populistischen Gießkanne viel irrationalen Widerstand erzeugt und doch seinen Wahlkreis wieder direkt gewonnen.

Seine Philosophie einer Sozialpolitik, die auf Strukturen mit mehr Effektivität und Qualität setzt, kann auf alle Felder der Sozial- und Gesellschaftspolitik übertragen werden. Beim Wohnen, beim Städtebau, bei der Mobilität, bei den Renten, bei der Pflege, bei den Kindergärten und Schulen gibt es Strukturmängel, denen nicht mit immer mehr Geld beizukommen ist, sondern nur mit systematischer Erneuerung.

Hier kommt dann doch Hamburg ins Spiel, denn die gemeinsame Politik von SPD und Grünen ist dort eher strukturorientiert und relativ erfolgreich. Eine strukturorientiert runderneuerte SPD-Sozialpolitik könnte bundesweit ein echter Zukunftshebel werden – für die Gesellschaft und die Partei. Sie könnte auch zum Niederringen der AfD beitragen.

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