Der sonntaz-Streit: „Ein bisschen mehr Bosheit“
Ist die deutsche Literatur zu brav? Nein, findet Frank Schirrmacher – aber die Literaturkritiker sind es. Dabei gehe es hinter der Bühne hoch her.
Mit der deutschen Literatur sei es wie mit dem Beginn eines Walzers, monierte der mittlerweile verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bereits vor knapp 20 Jahren: „Man hört das Hm-ta-ta, Hm-ta-ta, und man fragt sich: Wann kommt denn nun endlich die Melodie?“ Viel Hm-ta-ta machten in den vergangen Wochen auch die Literaturkritiker in den Feuilletons. Die deutsche Literatur sei zu langweilig, hieß es dort. Zu angepasst. Anlässlich der Leipziger Buchmesse zieht die taz am wochenende Bilanz und fragt: Ist die deutsche Literatur wirklich so brav?
„Nicht die deutsche Literaturszene ist zu brav, sondern die deutsche Literaturkritik“, sagt Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der taz am wochenende vom 15./16. März und dreht damit den Spieß um. Er wünsche sich „ein bisschen mehr von der Bosheit, die die Branche doch so perfekt hinter den Kulissen beherrscht, auf die Bühne“.
Mehr Spannung könnte allerdings auch die Literatur vertragen, findet taz-Leser und Schüler Maximilian Lipski. Die sei „langweilig“, und das mit System – denn bereits im Deutschunterricht werde die Kreativität im Keim erstickt. Durch Notenbewertung und zu einheitliche Regeln für das Schreiben verginge den SchülerInnen schon früh die Lust an der Literatur. „Kunst ist subjektiv und wir geben ihr objektive Regeln“, beschwert sich der 17-Jährige.
Zu „pauschal und eingeengt“ findet taz-Leserin Gyde Callesen die Debatte. Schließlich gäbe es in vielen deutschen Städten eine lebendige Literaturszene mit interessanten und gesellschaftskritischen Texten, diese jedoch würden von der etablierten Literaturszene bewusst ignoriert. Die Diskussion sei eine „wahnwitzige“, so Callesen, selbst Schriftstellerin: „Einer Rose alle Dornen abzuschneiden, damit sie möglichst spuren- und kratzfrei durch die Hand gleite, und sich danach zu fragen, wo denn die Dornen geblieben seien, kann entweder nur von Dummheit, von Ignoranz oder von der Korruptheit des ganzen Literaturbetrieb zeugen.“
Nach einem Jahr im Amt gilt Papst Franziskus als Revolutionär. Aber was verändert sich wirklich in der Kirche? Eine Spurensuche auf fünf Kontinenten lesen Sie in der taz.am wochenende vom 15./16. März 2014 . Außerdem: Der Schriftsteller Daniel Kehlmann über Ängste, Sehnsüchte und Seitensprünge. Und: Eine Bestandsaufnahme in Bayern vor der Wahl am Sonntag. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Auch die Berliner Groschenromanautorin Anna Basener stört die Debatte. Am Ende bleibe nur noch der Wunsch, „die ganzen Literaten und Feuilletonisten hätten das bitte alle mal privat unter sich geklärt.“ Anstatt die Szene zu kritisieren, hätte man schließlich auch Literatur einen Raum geben können, die nicht brav sei. Die gäbe es nämlich tatsächlich, meint auch eine Userin auf Facebook, wenn man sich nur mal traue, „außerhalb des Mainstreams“ zu schauen. Wer das nicht tut, ist dann eben selbst Schuld. So schließt auch Basener, die in Hildesheim Kulturwissenschaften studiert hat, dass „jeder sich in der Literaturszene bewegt, die er verdient“.
Die Streitfrage beantworten außerdem Franziska Augstein, Redakteurin der SZ, der ehemalige Leiter des Hildesheimer Literaturinstituts Stephan Porombka, Autor und Regisseur Joachim Masannek und taz-Leser Maximilian Schulz – in der taz am wochenende vom 15./16.3.2014.
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