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Der sonntaz-StreitIm Irak intervenieren?

Julia Neumann
Kommentar von Julia Neumann

Isis kontrolliert die größeren Städte des Irak und will dort einen islamistischen Staat errichten. Die USA schicken Soldaten. Ist das der richtige Weg?

Freiwillige schiitische Kämpfer im Irak schließen sich der irakischen Armee an, um gegen Isis zu kämpfen. Bild: dpa

F rauen sollen die Häuser nur verlassen, wenn es unbedingt notwendig ist. Rauchen oder Musik spielen ist verboten. Alle Schreine, Denkmäler und Mausoleen, an denen Tote verehrt werden, sollen zerstört werden. Einen Verhaltenskodex mit diesen Regeln hat die Gruppe „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“, kurz Isis, in der irakischen Provinz Ninive veröffentlicht, in der auch die Millionenmetropole Mossul liegt.

Seit dem 9. Juni 2014 hat Isis die größeren Städte des Irak unter Kontrolle - darunter Mossul, die zweitgrößte Stadt des Landes. Die Gruppe, die sich al-Qaida zum Vorbild nimmt, will in Syrien und im Irak einen Gottesstaat errichten. Tausend Iraker sind dabei seit Anfang Juni gestorben, Hunderttausende vor den Kämpfern geflohen.

US-Präsident Barack Obama will die Extremisten stoppen. Die irakische Regierung hat die USA offiziell gebeten, sie im Kampf gegen die Islamisten mit Luftangriffen zu unterstützen. Obama möchte dreihundert Spezialkräfte schicken, die irakische Anti-Terror-Kräfte beraten sollen. Die ersten amerikanischen Soldaten sind schon in Bagdad. Stabilisiert man dadurch das Land? Oder machen ausländische Militärs die Lage nur noch schlimmer?

Präsident George W. Bush ordnete 2003 an, in den Irak einzumarschieren und den Diktator Saddam Hussein zu stürzen. Dieser wurde getötet. Aber in dem Krieg starben auch 4.500 US-Amerikaner und mehr als 100.000 Iraker - Soldaten und Zivilisten. Es folgten Anschläge, Chaos, ein Bürgerkrieg. War die US-Intervention also ein Fehler? Oder hat man die Kampftruppen 2011 nur zu früh wieder abgezogen?

Der oberste geistliche Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, lehnt ein erneutes Eingreifen der USA ab.„Die USA wollen einen Irak unter ihrer Hegemonie.“ Er glaubt, dass die irakische Regierung und die religiösen Autoritäten der Schiiten und Sunniten selbst in der Lage sind, die Streitigkeiten zu beenden.

Es sieht aber nicht nach Aussöhnung aus. Stattdessen droht dem Irak der Staatszerfall und eine Zersplitterung in drei Teile: ein sunnitisches Kalifat unter Isis im Norden und Westen, ein kurdischer Teil im Norden und ein schiitischer Süden.

Der Westen fürchtet Anschläge

Auch Jordanien fühlt sich von Isis bedroht. Die jordanische Armee ist entlang der 181 Kilometer langen Grenze zum Irak in Alarmbereitschaft versetzt worden. Der einzige Grenzübergang auf irakischer Seite wird inzwischen von Isis kontrolliert. Bereits 2003 wurden Jordanien und Saudi-Arabien nach der US-Invasion im Irak mehrfach Angriffsziel islamistischer Terroristen.

Die Unesco bangt um das Weltkulturerbe in der Region, das von Isis zerstört wird. Der Westen fürchtet Attentate. Anschläge wie die der Al-Qaida in Madrid 2004 oder in Londoner Bussen 2005.

Am 24. Mai 2014 gab es einen Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel. Die britische Regierung rechnet mit ähnlichen Vorfällen. „Die Errichtung eines islamistischen Regimes in der Mitte des Irak würde sich auf uns auswirken“, sagt der britische Premierminister David Cameron.

Was meinen Sie: Soll der Westen im Irak eingreifen, um Isis aufzuhalten? Braucht Deutschland gar eine Interventionsarmee? Oder geht es bei den amerikanischen Forderungen nur darum, den Irak weiter zu kontrollieren? Diskutieren Sie mit! Wir freuen uns auf Ihre Online-Kommentare.

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Julia Neumann
Korrespondentin Libanon
Auslandskorrespondentin für Westasien mit Sitz in Beirut. Hat 2013/14 bei der taz volontiert, Journalismus sowie Geschichte und Soziologie des Vorderen Orients studiert. Sie berichtet aus dem Libanon, Syrien, Iran und Irak, vor allem über Kultur und Gesellschaft, Gender und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Für das taz Wasserprojekt recherchiert sie im Libanon, Jordanien und Ägypten zu Entwicklungsgeldern.
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13 Kommentare

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  • Asymmetrisch.. sowas?

     

    www.3sat.de/page/?source=/ard/thementage/165450/index.html

     

    bzw.

     

    https://www.youtube.com/watch?app=desktop&persist_app=1&v=0vNJuhN23ow

     

    ..

  • Natürlich ist die Situation äußerst diffizil und fordert sozusagen peinliche Genauigkeit in jedweden Schritten; deswegen ist die Motivation für Dialog zwar stets zu fordern und zu versuchen im allgemeinen Konsens der gefährlichen Situationen eine gleiche Sprache zu sprechen. Die Frage die sich mir letztlich stellt: Wie geht man mit den Menschen um, die Anderen aus ideologischen Gründen gewaltsam die Existenz (in unserem Sinne) entreißen und denen man im Kompromiss ihre Handlung zu einem gewissen Teil legitimiert? Dies soll keineswegs Krieg rechtfertigen, noch weniger eine euro-/westlichzentristische Anschauung begünstigen, sondern nur die tötliche Lage der eventuellen Zukunft aufweisen.

    Von Figuren wie Abu Bakr al-Baghdadi, der Spitze der für hierarchische Strukturen bekannten ISIS sowie vermeintlicher Nachfolger Mohammed's hörte man wenig.

    Ohne einen Gegenprediger jedenfalls, welcher die Perspektiven des Friedens in den Diskurs mit einbringt und der der Folgschaft der Intoleranten das Wort Glauben eindringlich erklärt, gibt es keine Dialektik; folglich auch kein Ende der zwischenmenschlichen Kriege in Aussicht.

  • Der „Ami“ kennt nur einen Satz: „Die Kavallerie bringt bald Entsatz.“ Doch heute bringt sie nur Entsetzen. In ihrer politischen Systematik kommen die USA wohl nie aus dem „Go West“ heraus. Sie haben ja nichts anderes gelernt: „Da draußen“ ist der Feind. Wir müssen ihn besiegen, um sein Land (und Öl) zu kriegen.

  • Sollte "der Westen" eingreifen, werden die verfeindeten Gruppen sich so lange zummenschließen, bis der Eindringling geschlagen sein wird, dann metzeln sie sich untereinander weiter ab.

  • Natürlich darf der Westen im Irak militärisch NICHT eingreifen! Das wäre eine Katastrophe mehr in der wahrlich kriegerischen Militärgeschichte der USA und anderer westlicher Staaten. Selbst linke Menschen in Deutschland und in Europa sind derart an die Weltgendarmenrolle der USA gewöhnt, dass es ihnen noch nicht einmal merkwürdig vorkommt, wenn sie sich diese Frage überhaupt nur stellen! Ist es denn von Vietnam bis Afghanistan über Irak und Yemen und Pakistan immer noch nicht genug?

    Ihr seid so völlig einseitig auf den Westen fixiert, dass ihr gar nicht gemerkt habt, dass die USA tausend Militärstützpunkte rund um den Globus hat und ständig laut darüber nachdenkt, wo mal wieder eingegriffen werden müsste, dass euch gar nicht auffällt, dass Russland gerade mal zwei Dutzend Stützpunkte in einigen Nachbarländern hat, und China hat, na wieviel, was meint ihr?... keinen einzigen Militärstützpunkt ausser Landes (die drei oder vier Kommunikationsinstallationen können wohl kaum gerechnet werden). Und wann hat China das letzte Mal militärisch eingegriffen? Dämmert Euch da nichts? China macht weltweit Friedenspolitik durch wirtschaftliche Aufbauarbeit, vor allem in Afrika. Und wird so in drei, vier Jahren die USA als Weltwirtschaftsmacht auf den 2. Platz verweisen. China schürt keine Konflikte, sondern stellt sich den heutigen Menschheitsproblemen.

    Militär ist vergeudetes Potential an Menschen, Infrastruktur und Technik. Eine Nation, die darauf baut, ist dem sehr baldigen Untergang geweiht.

    Äh, was war nochmal Eure Frage? Im Ernst???

  • Diese Frage erinnert mich an die Situation am Balkan, damals in den 90ern. Da das Interesse an den neu geschaffenen Staaten eher spärlich war und die USA die EU ihre "Probleme" selber lösen lassen wollte, kam es zu den wohl grausamsten Kriegen im modernen Europa. All dies hätte mit einer Intervention von westlicher Seite verhindert werden . Ich sehe hier nun gewisse Parallelen. Das Interesse zu intervenieren ist im Moment einfach nicht vorhanden. Ausserdem nehme ich an, dass die USA die noch relativ junge Demokratie ihre Probleme selber lösen lassen möchte. Man kann zumindest sagen, dass die amerikanische Bevölkerungen keine Lust auf weitere Golfkriege hat.

    Die Frage ist nun; könnte man mit einer Intervention schlimmeres verhindern?

    Bei dem "Gegner" den man hat, dient diese Frage wohl eher der Rhetorik. die ISIL ist definitiv nicht die Macht, der man den nahen und mittleren Osten überlassen möchte.

  • Tja, was soll man jetzt machen? Schwere Frage.

     

    Grundsätzlich würde ich intervenieren, allerdings nicht primär im Irak, sondern eher wenn z.B. Jordanien Hilfe bei der Abwehr der ISIS benötigt. Im Irak sollten sich mögliche militärische Interventionen der Bundeswehr auf das Kurdengebiet beschränken. Die kurdischen Kämpfer scheinen mit wesentlich entschlossener und verlässlicher als die irakische Armee, mit der unsere im Restirak zusammenarbeiten müsste.

    Keine sinnvolle Perspektive, mit einer Armee, die so schnell Auflösungserscheinungen zeigt, dürfte eine dauerhafte Stabilisierung des Irak nicht machbar sein. Das ist auch kein Ausbildungsproblem, die irakische Armee wurde bereits von den USA ausgebildet; die meisten Iraker verfügen auch noch aus Saddams Zeiten über eine militärische Grundausbildung.

    Die Probleme sind im Stammeswesen, den beiden islamischen Glaubensrichtungen im Irak sowie soziokulturellen Problemen des Landes verwurzelt, die kann keine ausländische Armee lösen.

     

    Kurz zusammengefasst: Die bisher stabilen Länder in der Region vor der ISIS schützen, im Iraks retten was hoffentlich zu retten ist und aus dem Rest raushalten.

  • Also ehrlich gesagt, mich kotzt das nur noch an. Man macht jahrelang Fehler und dann, wenn man das nicht mehr Leugnen kann und sich aus seiner Komfortzone heraus bewegen muss, dann ist man doch bereit etwas zu tun. Allerdings kann man nicht mehr viel tun, weil man mittlerweile zu spät dran ist. Da bleibt dann eben nur noch entweder nichts zu tun oder mit seinem Militär aktiv zu werden. Mir läuft beides zuwider und eine klare Antwort darauf kann und will ich hier gar nicht geben.

     

    Auf was ich hinaus will ist, dass man es gar nicht erst so weit kommen lässt. Mittlerweile müsste man doch gelernt haben, was eher gut ist und was eher nicht.

    Und so wie ich mitbekommen habe, sollte man eine demokratische Entwicklung gutheißen (und nicht nur dann, wenn auch ein dem Westen zugetaner Politiker an der Macht ist). Intervenieren sollte man nur, wenn man bereit ist bis zum Äußersten zu gehen und massiv in das Land zu investieren. Und vor allem sollte man 1. einen guten Grund haben und 2. einen guten Plan für die Zeit nach den Kämpfen.

     

    Des weiteren bin ich der Meinung, dass sich erst einmal der Westen selber erneuern muss bevor er versucht andere Länder zu bekehren. Ein Engagement der USA, aber auch anderer Staaten ist einfach nicht mehr glaubwürdig. Zu viel wurde in letzter Zeit gelogen, verbrochen und Grundrechte verletzt.

  • Kleiner Hinweis an Frau Neumann:

    Es heißt nicht: "Die USA schickt Soldaten."

    sondern

    "Die USA schicken Soldaten."

    USA ist nämlich Plural (United States(!) of America.

    Wird häufig falsch gemacht...

  • Wenn die UNO beschließt, Friedenstruppen in den Irak zu schicken, und dazu auch bei uns anfragt, habe ich nichts dagegen, wenn Deutschland Soldaten und Gerät schickt. Ansonsten würde ich es vorziehen, wenn wir großzügig Flüchtlinge aufnehmen und humanitäre Hilfe leisten. Mit dem Do No Harm-Prinzip lassen sich humanitäre Hilfsprogramme ja so planen und umsetzen, dass sie in Konflikten deeskalierend wirken: http://www.amazon.de/Do-No-Harm-Support-Peace/dp/1555878342/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1403620601&sr=8-1&keywords=do+no+harm+anderson

     

    Die Reaktion der amerikanischen Regierung wirkt mir eher verunsichert: "Irgendwas müssen wir wohl machen, aber was könnte das Beste sein?" Ich habe Zweifel, dass wir uns dort anschließen sollten, solange die UNO nicht mit im Boot ist.

  • 9G
    9076 (Profil gelöscht)

    Wenn sich die ISIS-Kämpfer an den Ölquellen vergreifen, dann müssen vermehrt Luftangriffe geflogen.

    Andernfalls hat sich der ganze Einmarsch in den Irak doch nicht gelohnt.

    • @9076 (Profil gelöscht):

      Ich bin geschockt welchen Schrott hier einige Personen vom Stapel lassen.. Ich würde gern Ihre Reaktion sehen, wenn eine fremde Nation völkerrechtswidrig (ohne UN Mandat) in Ihren Garten einmarschiert, ihre halbe Familie tötet und durch die Verwendung von Uranmunition auch noch Generationen später verstümmelt, damit eben Unternehmen dieser besagten Nation sich Kontrolle über Ressourcen in Ihrem Land verschafft. Durch Lügen legitimiert (Krankenhaus, Babies als Stichwörter) und mit Folter und Mord durchgesetzt. Ich kanns echt nicht glauben... aber verraten sie mir doch bitte bei wieviel Familienmitgliedern, die sie zu opfern bereit wären, sich ein Krieg (insb. dieser Art) lohnen würde.

       

      Gebt den Menschen Essen, Trinken, ein warmes zu Hause und Perspektive für die Kinder.. das lohnt sich..

       

      Ganz ehrlich: aufwachen und nachdenken. Bitte.

      • 9G
        9076 (Profil gelöscht)
        @Christian Marquardt:

        NEIN!

        Das ist die Aussage ranghoher NATO- Offiziere.

        Es wird doch medial gerade wieder einmal Feindbild (ISIS) gebastelt um dann die legitimation zu haben vermehrt Luftschläge zu fliegen.

         

        Wir führen Ressourcen- Kriege- fertig. Damit wir auch morgen unbeschwert volltanken können, so einfach ist das.

         

        Davon haben Sie bestimmt auch schon profitiert.

         

        Ganz ehrlich: Wäre ich Iraker, ich würde auch die Form der asymetrischen Kriegsführung wählen.