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Der schöne Schein des Dümmersees

■ Disco, House und Erik Ode ergibt Easy Listening: Erobique in der Galerie berlintokyo

Okay, okay, wer sagt, daß Kinder eine andere Wahrnehmung haben als Erwachsene, landet natürlich einen faustdicken Allgemeinplatz. Deshalb sollte man diese Aussage differenzieren: In der Wahrnehmung der Dinge durch Kinder schwingt immer auch ein großer Anteil Glamour mit.

Wo Erwachsene reflektierend hinter die Phänomene schauen, beginnen die Kinder einen Dialog mit deren Oberfläche, sehen in der Erhabenheit des Scheins Welten. Wer dann erwachsen wird, kann diese Eindrücke entweder vergessen. Oder er begibt sich auf Tauchfahrt in diese kindlich herbeihalluzinierten Welten und wird dann ein echter Teil der Phantasie. Carsten Meyer befindet sich unter dem Namen Erobique auf der Reise an die bedeutenden Abgründe der Oberfläche: „Wir gehen auf die Reise, unser Auto ist ein Schiff. Und gleiten ruhig und leise, wie ein waagerechter Lift. Und wenn man was als sehenswert erkennt, hält unser Wagen an. Er regt sich lautlos und dezent, dann gehen wir an Land.“

Diese Hymne an den Citroän DX ist mehr als ein Willkommensgruß an dessen von französischen Technikern ausgeklügeltes Federungssysten, sie ist ein Salut für die Design gewordene Verkörperung eines stilvoll gelebten Lebens der Sorglosigkeit.

Meyers Côte d'Azur war aber der Dümmersee: „Der Dümmersee in Niedersachsen – hier hatten meine Großeltern '79 und '88 einen Wohnwagen mit Vorzelt. Ich war als Kind oft hier, und es war die totale Freiheit. 'Im Urlaub darf jeder tun, was ihm gefällt‘, sagte meine Omi immer.“

Der kluge Leser hat es längst gemerkt: Es läuft auf Easy Listening hinaus, und Easy Listening kennt wiederum zwei Aspekte: die Übersetzung von Sorglosigkeit ins Musikalische (die James-Last-Schule); oder das Wissen der Musiker, daß eh niemand richtig hinhört, solange der Sound in Butter ist und man also psychedelisch experimentieren kann.

Erobique ist beides. Meyer spielt seit der Kindheit Klavier, kennt sich also aus auf seinem Instrument. Sein Easy Listening ist das Gegenteil der Punkattitude von Stereo Total. Immer klingt es, als ob da jemand an der Simplizität der Formen seine Kreativität schult und sich in viel Disco plus Houseflavour und Spurenelementen von Krimimusik aus den Siebzigern austobt: Erobiques zeitgemäß abgefedertes Fahrgestell für Ausfahrten in die Tage der Kindheit.

Erobique live: unterstützt von einem Sampler, umgeben von einem Orgelfuhrpark, gedreßt in vollendet durchgestylte Klamotten. Da zeigt Meyer, daß die Liebe zur Oberfläche vor allem auch den Showman schult. Nils Michaelis

Heute abend ab 23 Uhr in der Galerie berlintokyo, Rosenthaler Str. 38, Mitte

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