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■ Der postzionistische Konsumbürger prägt die israelische Gesellschaft und untergräbt deren religiöse FundamenteEinen koscheren Big Mac, bitte!

Wer heute in Tel-Aviv spazierengeht, kann in der Illusion leben, daß Tel-Aviv überall ist. Normalität ist in der Luft, ein freudig erregter Säkularismus. Der Tel-Aviver Flaneur kommt an McDonald's, Burger King, Blockbuster Video und anderen Symbolen globaler Lusterfüllung vorbei. Und plötzlich, während er noch im Kopf die letzten Börsennachrichten aus New York, Tokio und London über das Handy mit seinem Makler bespricht, kommt er an der Stätte der Ermordung Rabins vorbei, der ja auch deswegen ermordet wurde, weil gerade er, das Ursymbol des israelischen Wehrbürgers, besser als viele verstanden hat, daß viele Israelis durch den Konsum verweichlicht wurden und nicht mehr wehrfähig sind. Unser Flaneur kommt auch an Stätten des Terrors vorbei, an Gedenktafeln, die daran erinnern, daß hier ein Autobus, dort ein Kaffeehaus explodierte. Dies sind grausame Wegweiser des Lokalen, des Spezifischen, des Einzigartigen. Die postmodernen Winde wehen hier wie anderswo sehr lokal.

Hier liegt die Ursache der kulturellen Konflikte im Israel von heute. Der „neue“ israelische Konsumbürger ist ein Schwächling geworden, wie Konsum eben wehrhafte Krieger zu verweichlichten und verweiblichten Verbrauchern umkrempelt. Konsumenten sind eher zur Verzweiflung zu bringen und fürchten nichts mehr als den Tod an der Grenze zum Libanon, der das Ende allen Vergnügens bedeutet. Das ist der Grund, warum sie für den Frieden sind.

Israelische Vordenker reden vom Postzionismus. Ein intellektuelles Gespenst, das die alten Werteträger des Landes erzittern läßt. Was wollen die Postzionisten, und was haben stirnfaltende Intellektuelle mit völlenden Konsumenten zu tun? Die erste Frage ist leicht zu beantworten: Mythen wollen sie zerschlagen, Heiliges profanieren. Es geht vor allen Dingen um Unbehagen in der immer noch ziemlich hegemonistischen kollektiven Erinnerungskultur. Es geht auch um Schuld. Die wird jetzt verlagert. Nicht die Palästinenser haben schuld an ihrem eigenen Schicksal, sondern Israelis haben dies über sie gebracht.

Man sieht sich als israelischer Täter und nicht als jüdisches Opfer. Wie bei vielen anderen „Post“- Bewegungen wird auch hier dekonstruiert, imaginiert und polyvalent ins Zeug gehauen.

So wird der Holocaust dann plötzlich zum universalen Problem, ein Verbrechen an der Menschlichkeit, das mit Juden nur zufällig was zu tun hat. Mit Israel selbst hat das schon lange nichts mehr zu tun. Das eine ist ein jüdisches Problem, das andere ein israelisches. Von da bis zur Argumentation, daß der Staat Israel den Holocaust für eigene politische Interessen instrumentalisiert, ist es ein kleiner, aber gewagter Schritt.

Und hier sind wir im Herzen der postzionistischen Debatte. Junge kritische Israelis weigern sich standhaft, Juden zu sein. Israelis wollen sie sein, Staatsbürger ohne Ethnos. Ethnische Identität wird abgelehnt. Universal will man sein, ohne zu merken, daß man die partikularen Ansichten der anderen Seite gleichwohl teilt. Universal denken heißt dann auch in Israel, auf der Seite vermeintlicher Opfer zu stehen. Dies ist klassisches liberales Denken, wo es keine Feinde mehr gibt.

Im postsozialistischen Israel werden postzionistische Denker zu guten alten Liberalen mit „Postvokabular“. Ein westlicher, liberaler Staat soll Israel bitte sein und ohne Juden dazu, sondern nur noch mit guten Israelis. Die Grundlage der israelischen Nationalidentität soll auf dem Territorialprinzip beruhen. Das heißt Gleichheit vor dem Gesetz für alle Staatsbürger innerhalb des Staates Israel, ohne auf ethnische, religiöse oder andere Identitätskriterien Rücksicht zu nehmen: Verfassungspatriotismus israelischer Art.

Aber liberaler Verfassungspatriotismus ist keine abstrakte Sache, wie sich das die Postzionisten so einfach vorstellen. In Israel gibt es nicht einmal eine Verfassung, der Verfassungspatriotismus hängt also in der Luft.

Die zweite Frage, was diese intellektuelle Bewegung des Postzionismus mit Konsumrausch zu tun hat, läßt sich jetzt leichter beantworten. Es geht hier nämlich um Modernität. Hier verläßt der Postzionismus die intellektuelle Ebene und wird zur verpönten Massenkultur. Hier wird er auch politisch wirksamer. Vor allen Dingen war das zwischen 1992 und 1996 der Fall. Die damalige Regierungskoalition versprach und kultivierte ein säkulares und kosmopolitisches Weltbild. Der sogenannte „Neue Nahe Osten“ sollte ein wirtschaftliches Konsumparadies sein ohne Tradition und Geschichte. Es ist daher auch nicht überraschend, daß die damaligen Koalitionsparteien mit westlich orientierten Menschen identifiziert wurden, mit den so oft beschimpften „Yuppies“. Diese Yuppies unterstützten den Friedensprozeß, weil Frieden Teil ihrer Lebensführung wurde. Das hat weniger mit Friedensideologien zu tun, die man aus Regionen kennt, die keinen Krieg kennen, als vielmehr mit der konkreten Müdigkeit, Soldat sein zu müssen.

Aber der neue, postzionistische Konsumbürger rief die alten Identitäten wieder hervor, und zwar in verstärkter Kraft. Dies wurde vor allen Dingen bei den Wahlen von 1996 deutlich. Der neue, postzionistische Konsumbürger wurde entrüstet vom Wehrbürger und Gottesbürger in die Schranken gewiesen. Diese Spannung zwischen verschiedenen nationalen und postnationalen Identitäten macht das Leben in Israel aus.

Was bedeutet dieser Konflikt heute in Israel? Gibt es noch Alternativen zwischen der Lust der universalen postzionistischen Verbraucherkultur einerseits und den ethnischen, religiösen, lustverzichtenden, kämpferischen Identitäten andererseits? Kann Israel so wie Europa oder Amerika werden, oder wird es eher in die iranische Richtung gehen? Kann es eine eigene Identität finden, die auf alle diese Richtungen Rücksicht nehmen kann?

Was sind die Aussichten? Israel wurde immer schon als jüdischer Staat angesehen, und das sogar auch von denen, die säkular sind, aber es kann gleichzeitig auch als demokratischer Staat betrachtet werden, und das sogar von denjenigen, die religiös sind. Sicher, Zionismus ist nicht dasselbe wie Judentum. Zionismus kann auch Judentum plus Liberalismus sein. Liberalismus als Gründungsglaube moderner Staaten. Israel muß seine eigene Identität jenseits der Alternativen westlicher Universalismus und religiöser und militärischer Fundamentalismus suchen und finden. Ein koscherer Big Mac kann da auch schon den Anfang machen. Natan Sznaider

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