Der neue Trend zum Schrebergarten: Grün ist alles was ich habe
In deutschen Schrebergartenkolonien sind die Pächter im Durchschnitt 60 Jahre alt. Aber sie werden jetzt von Jüngeren abgelöst, stellt eine Studie fest.
BERLIN taz Die grauen Plattenbauten sehen sie gar nicht, obwohl sie nur ein paar schnurgerade Gartenwegmeter entfernt sind. Bei ihnen ist alles grün. Die Hecken, die Büsche und auch die Bäume, die im Sommer und Herbst so viele Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen abwerfen, dass der Ingenieur und seine Frau sie gar nicht alle verkochen oder verbacken können. Fast an jedem Wochenende sitzen die beiden auf der weißen Bank in ihrem neuen Kleingarten. Die Söhne fahren mit Bobby-Car und Dreirad durchs Pampas-Gras.
Und manchmal kommen Freunde des 40 Jahre alten Ingenieurs vorbei und sagen ihm, dass sie so etwas auch gerne hätten: eine grüne Parzelle mitten in der Großstadt, in Berlin - nur wenige Straßenkreuzungen von ihren Altbauwohnungen mit den abgezogenen Dielen entfernt, von wo es wiederum nicht weit ist zu Kinos und Kneipen.
Es steht ein Wandel bevor in Deutschlands Laubenkolonien. Von einem "Generationenwechsel" spricht eine aktuelle Studie des Bundesministeriums für Stadtentwicklung. "Die Zukunft des Kleingartenwesens wird wesentlich davon abhängen, inwieweit es gelingt, neue Zielgruppen, vor allem jüngere Haushalte, Familien mit Kindern und Migranten zu interessieren", heißt es darin. In den vergangenen zehn Jahren habe sich der Altersdurchschnitt zwar um vier Jahre erhöht und liege jetzt bei 60. Aber die Kolonienbevölkerung altert langsamer.
Es gibt Hoffnung. Es gibt Leute, wie den Ingenieur und seine Frau. Und da sind andere, die ihnen ihr Fleckchen Rasen hinter der Hecke überlassen werden. Rund acht Prozent der Pächter glauben, dass sie ihre Laube "in naher Zukunft" aus Altersgründen aufgeben müssen, stellt die Untersuchung fest. Fast die Hälfte neuen Pächter in den vergangenen fünf Jahren waren Familien mit Kindern.
Besonders in den Großstädten lassen sich die jungen Nachfolger von peniblen Bestimmungen zur Heckenhöhe und gelegentlichen Kontrollbesuchen des Gartenfachberaters nicht mehr abschrecken. In Berlin, München, Hamburg, im Rheinland und im Ruhrgebiet gebe es bei den Kleingartenvereinen wegen der großen Nachfrage häufig Wartelisten, sagt Thomas Wagner vom Bundesverband der Gartenfreunde. "Überall da, wo die jungen Urbanen sich nach neuen Möglichkeiten umschauen." Denn: "Der Speckgürtel passt heute nicht mehr in die Lebensentwürfe hinein."
Das bedeutet: Umland ist out. Eine Immobilie am Stadtrand wolle sich niemand mehr "ans Bein binden". Flexibilität sei gefragt. Und eine gemietete Parzelle werde man im Zweifel schnell wieder los. Das könnte die durchschnittlichen Pachtzeiten von 19 Jahren langfristig senken.
Auch der Ingenieur sagt: "Wir wollten nicht rausziehen ins Reihenhäuschen. Wir sind beide stadtliebende Menschen." Trotzdem hatten sie das Gefühl, sich in den Parks ihres Viertels nicht wirklich entspannen zu können. Als sie per Internetsuche erst einmal einen Kleingartenverein gefunden hatten, ging alles relativ schnell. In ihren Satzungen und Leitbildern hätten die Kolonien oft stehen, dass junge Familien bei der Vergabe bevorzugt werden, sagt Gartenfreund Wagner: "Wir wollen, dass entstaubt wird."
Der Ingenieur und seine Frau mussten einige tausend Euro Ablöse zahlen, dann konnten sie die Laube beziehen. In ihrem Verein werden in der Regel zwischen 2.000 und 9.000 Euro verlangt. Die Ablösesummen seien seit den 90er Jahren gesunken, stellt die Studie des Stadtentwicklungsministeriums fest. Das sei wichtig, damit sich auch Familien mit geringerem Einkommen einen Parzellenplatz leisten könnten. Schließlich würden schon Pacht, Vereinsbeiträge und die Kosten fürs Wasser ansteigen.
Gerade Familien mit niedrigem Haushaltsbudget verbringen oft ihren Urlaub zwischen Radieschenbeet und Ligusterhecke, beobachten die Vereine. Manche würden auch auf die Laube ausweichen, weil sie sich das Reihenhaus mit Garten gar nicht leisten könnten, selbst wenn sie wollten, sagt Peter Ehrenberg, der Vorsitzende der Gartenfreunde Berlin. Die Bundeshauptstadt ist auch die Hauptstadt der Parzellenpächter. Gut 70.000 der 1,24 Millionen Kleingärten, befinden sich dort. Mit einigem Abstand folgen Leipzig und Hamburg.
Manche jungen Familien kämen in Zeiten, in denen alles teurer werde, um "ihren Speisezettel zu bereichern", sagt Ehrenberg, mit "biologischem Anbau, den man selbst betreibt". So geht es zurück zu den Wurzeln: Aufgekommen sind die Parzellen zu Beginn des 19 Jahrhunderts. Als Armengärten für die Selbstversorgung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin