: Der letzte große Auftritt
Weil Frau und Schwägerin an Krebs starben, nahm ein Rentner Rache an einem Arzt – mit Bomben. Vor Gericht bereut der 77-Jährige. Ihm droht die geschlossene Psychiatrie
Erst starb die Schwägerin an Krebs. Eineinhalb Jahre später die Ehefrau. Den Tod der Frauen, die ihn fast sein ganzes Leben lang umgeben hatten, hat der 77-jährige Rentner Horst D. aus Hohenschönhausen nicht verkraftet. Andere nehmen sich in so einer Situation einen Strick. Horst D. baute Rohrbomben und sprengte damit einem Arzt das rechte Auge weg. Der Mediziner war einmal als Schmerztherapeut bei der Schwägerin gewesen.
Seit gestern steht der Rentner wegen versuchten Mordes, schwerer Körperverletzung und Herbeiführens von fünf Sprengstoffanschlägen vor Gericht. Tatzeitraum ist Juni 2002 bis September 2003. Zwei Sprengsätze hatten dem Onkologen Ruben Gesmundo H. gegolten, drei weitere einem Autohaus, in dem der Rentner einmal seinen Mercedes erworben hatte. Bei dem Kauf hatte er sich übervorteilt gefühlt. Aber erst ein Unfall im Oktober 2003 in der Wohnung des Täters im zehnten Stock hatte die Kripo auf seine Spur geführt. Das in Metallrohre abgefüllte, aus Feuerwerkskörpern stammende Schwarzpulver war beim unsachgemäßen Hantieren explodiert und hatte den Mann an Bauch und Händen schwer verletzt.
Seit 1998 war Horst D. mit der Pflege der krebskranken Frauen beschäftigt gewesen. Nach dem Tod seiner Ehefrau im September 2000 fiel er in ein schwarzes Loch. „Alles war sinnlos, keiner war mehr da“, sagte der Angeklagte gestern. Die Sache mit den Anschlägen empfinde er heute als ganz furchtbar. Sie seien nur als symbolischer Denkzettel gemeint gewesen. Heute sei ihm vollkommen klar, dass den Arzt keine Schuld am Tod seiner Schwägerin treffe. Damals habe er ihn jedoch als ziemlich zynisch erlebt.
Er sei ein alter Mann, bat er das Gericht fast flehentlich, noch ein bisschen Lebenszeit in Freiheit verbringen zu können. Doch danach sieht es nicht aus. Es steht vielmehr zu vermuten, dass der Angeklagte den Rest seiner Tage in der geschlossenen Psychiatrie zubringen wird. Dort befindet er sich bereits seit einigen Monaten. Dort sind auch die vier großen Gemälde entstanden, die er dem Gericht gestern präsentierte. Auf einem ist ein Mann mit schwarzer Kapuze zu sehen, die verstümmelten Finger vors Gesicht geschlagen. Im Hintergrund schwingt Justizia mit verbunden Augen die Waage.
Das große Medieninteresse schien den rüstigen, gepflegt wirkenden weißhaarigen Herrn nicht zu stören. Im Gegenteil. Der Prozess sei sein wohl „größter und letzter Auftritt“, bewies er Realitätssinn. „So eine Kulisse werde ich wohl nie wieder haben.“ PLUTONIA PLARRE