: Der kleine Zar
Medienwelten: Weißrusslands Präsident Lukaschenko attackiert die Presse, wo er nur kann – also überall
Das journalistische Gastspiel von Pawel Selin in der weißrussischen Hauptstadt Minsk endete vor einigen Tagen abrupt. Der Korrespondent des russischen TV-Senders NTV wurde ins Innenministerium zitiert, wo man ihm mitteilte, er habe das Land innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Darüber hinaus verlor Selin seine Akkreditierung, wurde zur persona non grata erklärt und darf die nächsten fünf Jahre nicht mehr nach Weißrussland einreisen.
Stein des Anstoßes war diesmal eine Reportage über das Begräbnis des bekannten und regimekritischen, weißrussischen Schriftstellers Wassil Bykau, die NTV am 25. Juni ausgestrahlt hatte. Darin war nicht nur kritisch über das große Polizeiaufgebot berichtet worden, das in gewohnter Weise die rund 20.000 Teilnehmer unter Schlagstockeinsatz kompetent flankierte, sondern auch über die Präsenz der weiß-roten Flagge. Sie ist sowohl ein Symbol für die Unabhängigkeit Weißrusslands als auch das Banner der Gegner von Staatspräsident Alexander Lukaschenko und darf öffentlich nicht mehr gezeigt werden. Dummerweise war in dem NTV-Beitrag auch noch der Oppositionelle und ehemalige Parlamentspräsident Stanislaw Schuschkewitsch mit der Äußerung zitiert worden, Lukaschenko habe wohl davor Angst gehabt, an der Beerdigung teilzunehmen.
Die Abwesenheit des autoritären Staatschefs könnte aber ebenso gut die Folge eines zu vollen Terminkalenders sein. Denn Lukaschenko holt in diesem Sommer mal wieder zu einem Rundumschlag gegen unbotmäßige Medien aus. So machte das Informationsministerium Anfang vergangenen Monats gleich zwei unabhängigen Zeitungen für die kommenden drei Monate den Garaus. Das zweimal pro Woche erscheinende Satiremagazin Nawinki wurde via seiner Vertriebsfirma Belsajuzdruk kaltgestellt, die sich einfach weigerte, das Produkt an die Kioske oder Abonnenten auszuliefern. Im Falle des zweiten Blattes Echo kündigte der Direktor der Druckerei Krasanja Swezda kurzerhand und ohne Vorankündung den Vertrag mit der Wochenzeitung auf.
Die Methode ist immer die Gleiche: Laut Gesetz müssen die betreffenden Medien zweimal verwarnt werden, bevor sie geschlossen werden können. Meist geht es dabei um eine Verletzung einer Bestimmung, wonach der Präsident in Artikeln oder Radio- und TV-Beiträgen nicht diffamiert oder verunglimpft werden darf. Aus genau diesem Grunde waren im vergangenen Jahr drei Journalisten zu mehrjähriger Zwangsarbeit in Arbeitslagern verurteilt worden. Einer von ihnen, der Chefredakteur der Zeitung Rabochy, Wiktor Iwaskewitsch, sitzt noch heute.
Während Nawinki unter anderem zwei Fotos von Lukaschenko mit einer beleidigenden Bildunterschrift veröffentlicht hatte, wurde Echo der Abdruck mehrerer Artikel der kritischen Tageszeitung Belorusskaja Delowaja Gazeta zum Verhängnis. Diese war ihrerseits Ende Mai per Ministeranweisung für ein Quartal zum Schweigen gebracht worden.
Doch bei dem kreativen Umgang mit Gesetzen im Reiche von Lukaschenko reichen manchmal auch schon geringere Vergehen. Sei es, dass eine Zeitung umgezogen ist und die neue Adresse beim Ministerium nicht angebene hat, sei es, dass Brandschutzbestimmungen nicht erfüllt sind oder plötzlich die Steuerpolizei Grund zur Beanstandung hat.
Die überzogene Reaktion von Lukaschenko kommt nicht von ungefähr, denn seine Popularität sinkt ständig. Auch den alten Menschen, bislang stets die eifrigsten Unterstützer des Sowjetnostalgikers, dämmert es mittlerweile, wohin die Reise geht. So ergab eine Unfrage des unabhängigen Instituts für sozioökonomische und politische Studien in Minsk, dass im April nur noch 26,2 Prozent der Weißrussen für Lukaschenko stimmen würden, wenn jetzt Präsidentenwahlen wären.
Wie schön ist es da doch, dass sich Lukschenko wenigstens noch auf die staatlichen Medien verlassen kann. So meinte Ryhor Kisel, Chef des zweiten staatlichen Fernsehkanals, unlängst: „Wir dürfen die Privatisierung der Ideologie nicht erlauben. Diese sollte einzig und allein unter dem Einfluss des Staates bleiben.“ BARBARA OERTEL