: Der investigative Moralist
Ein unbequemer Entertainer im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit: Nach dem Erfolg von ,,Bowling for Columbine“ zeigt das 3001 in dieser Woche mit ,,Roger & Me“ und ,,The Big One“ zwei ältere Filme von Michael Moore
von MATTHIAS SEEBERG
Der Autor und Filmemacher Michael Moore hat es geschafft: das Publikum liebt ihn, sein jüngstes Buch Stupid White Men verkauft sich wie warme Semmeln und sein letzter Film Bowling for Columbine gilt mit 18 Millionen Dollar Umsatz als der erfolgreichste Dokumentarfilm, der jemals in den USA gezeigt wurde. Worauf, so fragt man sich, gründet sich eigentlich der Erfolg von Moores Attacken auf die Bush-Regierung und die US-amerikanische Waffenindustrie und ihrer Lobbyisten?
Neben der Tatsache, dass sich hier ein vom individuellen Gestaltungswillen überzeugter Underdog als vermeintlich authentischer Kritiker der US-Politik darstellt, kann Moores unerschrockene und auf sarkastische Pointen zielende Art der Berichterstattung als Schlüssel seiner Popularität betrachtet werden. Dieses Rezeptes bediente er sich auch für seine älteren Produktionen Roger & Me (1989) und The Big One (1997). Die beiden Dokumentationen, die sich mit der zunehmenden Liberalisierung der US-amerikanischen Wirtschaftspolitik und ihrer Konsequenzen beschäftigen, sind in dieser Woche im 3001 zu sehen.
Roger Smith, der damalige Chef von General Motors, geriet Ende der 80er Jahre ins Fadenkreuz des journalistischen Guerilleros, als unter seiner Ägide in Moores Heimatstadt Flint 30.000 Arbeitsplätze gestrichen wurden. Mit Baseballkappe, einer Kamera und einem Sack voller unbequemer Fragen bewaffnet, rückte Moore vor, um den Firmenboss mit den Folgen seiner Entscheidung vis-a-vis zu konfrontieren. Das Ergebnis dieser unkonventionellen Form des Arbeitskampfes war Roger & Me.
The Big One entstand 1997 bei einer Lesereise Moores mit seinem damaligen Bestseller Downsize this! und dokumentiert neben zahlreichen Lesungen und einigen Auftritten des politischen Stand-up-Comedians einen Blick hinter die Kulissen der sterilen Dienstleistungsgesellschaft. In fast jeder der 47 Städte auf seinem eigentlich als Promotion-Tour geplanten Trip trifft Moore auf die in seinem Buch dargestellten Missstände des liberalisierten Arbeitsmarktes. Von dessen Irrationalität zeugen vor allem die Unterhaltungen mit einstigen Beschäftigten des Süßwarenherstellers Payday, die aufgrund zu hoher Arbeitsproduktivität entlassen wurden, und die Schilderung eines ehemaligen Gefängnisinsassen, der in der Haft Buchungen der Fluggesellschaft TWA bearbeiten musste, womit er so wenig verdiente, dass ihm nach seiner Entlassung der Wiedereinstieg in die Kriminalität droht. Zu guter Letzt gelingt es Moore sogar, ein Gespräch mit dem NIKE-Vorsitzenden Phil Knight zu arrangieren. Diesen fordert er mit seinem unnachahmlichen Witz kurzerhand auf, die Produktionsstätten in Indonesien wieder in die USA zu verlagern, um amerikanischen Arbeitnehmern ihre Existenz zu sichern.
All das hat mit ernst zu nehmender Kapitalismuskritik allerdings nur wenig zu tun. Moores moralisch motivierte Investigationen lassen ihn vielmehr als aufklärende vox populi erscheinen. Und die läuft Gefahr, mit ihrer vereinfachendem Forderung nach „jobs for americans“ ins Fahrwasser populistischer Agitation zu gelangen und auf diesem Weg auch politischen Nationalisten Wasser auf die Mühlen zu gießen. Das ist letztlich eine Folge von Moores etwas naivem Demokratieverständnis und dem damit einhergehenden Vertrauen in die Reformierbarkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems.
Reflexionen über die unabänderliche Logik dieses Systems passen nicht zu Moores Ansatz vom unterhaltsamen Klassenkampf. Ein wirkliches Nachdenken über kapitalistische Grundprinzipien wie grenzenlose Gewinnmaximierung, fortschreitende Automatisierung oder das Faktum des tendenziellen Falls der Profitrate muss deshalb ebenso auf der Strecke bleiben wie eine differenzierte Analyse der damaligen politischen Ökonomie.
Roger & Me: Do, Fr + Mo–Mi, 18 Uhr; The Big One: Do–Di, 20.30 Uhr, 3001