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Der grün-rote KoalitionsvertragHauptsache Bildung

Solide Finanzpolitik, behutsame Bildungsreform und ein offener Konflikt bei Stuttgart 21. So präsentiert Kretschmanns "Bürgerregierung" ihren Koalitionsvertrag.

Vorhang auf für Grün-Rot: Vorstellung des Koalitionsvertrags durch Winfried Kretschmann (Grüne) und Nils Schmid (SPD) am Mittwoch. Bild: dpa

STUTTGART taz | Die neue Landesregierung Baden-Württembergs will ihre fünfjährige Legislaturperiode mit dem Selbstverständnis einer Bürgerregierung antreten. Dies hat der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch bei der Präsentation des Koalitionsvertrags (PDF) erklärt. "Die Zeit des Durchregierens von oben ist zu Ende", heißt es in der Präambel des Vertrags. "Für uns ist die Einmischung der Bürgerinnen und Bürger eine Bereicherung."

Als wichtigstes Kernthema ihres Politikwechsels sehen Kretschmann und Schmid die Reform der Bildungslandschaft. Der große Rundumschlag bleibt allerdings aus. Kretschmann sprach davon, "behutsam" vorgehen zu wollen. Der Grund ist mit einer anderen Stadt verbunden: Hamburg. Nachdem dort eine Schar gut organisierter Konservativer die Bildungsreform zunichtegemacht hat, scheut auch Grün-Rot in Baden-Württemberg den ganz großen Wurf.

Ziel ist, dass der Bildungserfolg künftig nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Doch verändert wird nur da, wo es die Beteiligten wollen. Indoktriniert wird nichts. So sollen die Gemeinschaftsschulen ins Schulgesetz geschrieben, aber nicht Pflicht werden. Dies kann man feige nennen, weil Grün-Rot wider ihre Überzeugungen die große Reform scheut. Oder aber klug, weil sonst womöglich jeder Ansatz im Keim erstickt würde.

Die Ministerien

Noch steht nicht fest, welche Minister das neue Kabinett besetzen werden. Doch zumindest haben sich die Koalitionäre auf die Verteilung der Ministerien geeinigt. Entsprechend dem knappen Vorsprung der Grünen bei der Wahl gegenüber der SPD (1,1 Prozentpunkte mehr) werden die Grünen im neuen Kabinett eine Stimme mehr haben. Acht zu sieben wird das neue Verhältnis sein.

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Allerdings bekommt die SPD sieben Ministerposten, während die Grünen abgesehen vom Ministerpräsidenten nur fünf erhalten. Dies dürfte mit der Preis für das Verkehrsministerium gewesen sein, das sich letztlich die Grünen gesichert haben. Dies war eines der begehrtesten Ressorts, da der künftige Verkehrsminister nicht nur für das Milliardenprojekt Stuttgart 21 zuständig sein wird. In der Verhandlungsgruppe Verkehr gab es insgesamt die größten Streitpunkte.

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Zusätzlich zum Verkehrsministerium übernehmen die Grünen das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, das Wissenschaftsministerium sowie das Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Außerdem stellen die Grünen den Staatsminister, eine Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung sowie einen Staatssekretär mit Kabinettsrang.

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Die SPD erhält ein Superministerium für Finanzen und Wirtschaft, für das SPD-Landeschef Nils Schmid als gesetzt gilt. Außerdem erhält die SPD das Arbeits- und Sozialministerium, das Innen-, das Justiz- und das Kulturministerium. Zudem stellt sie den Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten. Neu geschaffen wird ein Ministerium für Integration, das nach Schmids Worten eine "wichtige Querschnittsaufgabe" haben wird.

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Noch ein Posten ist zu vergeben: Der für den umstrittenen Einsatz gegen Stuttgart-21-Gegner verantwortliche Polizeipräsident Siegfried Stumpf will sein Amt aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. (nam)

Keine neuen Schulden ab 2020

Für den Landeshaushalt haben Kretschmann und sein designierter Vize Nils Schmid (SPD) eine solide Finanzpolitik angekündigt. Ab dem Jahr 2020 dürfen keine neuen Schulden gemacht werden. Dies schreibt die Schuldenbremse im Grundgesetz für alle Bundesländer vor. Um den Haushalt über die Einnahmenseite zu konsolidieren, ist die neue Koalition jedoch in weiten Teilen auf Entscheidungen im Bund angewiesen.

Stellschraube auf Landesebene ist die Grunderwerbssteuer, die Grün-Rot um 1,5 Prozentpunkte auf dann 5 Prozent erhöhen will. Darüber hinaus jedoch kann sich die Koalition lediglich in Berlin für Änderungen einsetzen, etwa für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder für die Erweiterung der Gewerbesteuer, die nach dem Willen von Grün-Rot künftig auch von Freiberuflern und Selbstständigen bezahlt werden soll.

Streit über Stuttgart 21 nicht beigelegt

Auch der Streit über Stuttgart 21 ist mit dem Koalitionsvertrag noch längst nicht beigelegt. Wie die Deutsche Bahn am Dienstag erklärt hat, sieht sie rechtliche Probleme durch die geplante Volksabstimmung. "Die Ankündigung der künftigen Regierungspartner, bis Oktober dieses Jahres eine Volksabstimmung in Baden-Württemberg über Stuttgart 21 abhalten zu wollen, ist in dem unverändert rechtsgültigen Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21 nicht vorgesehen", teilte die Bahn mit. Zu klären wird unter anderem sein, wer die Kosten für einen Baustopp bis zur Volksabstimmung im Oktober 2011 übernimmt.

Die baden-württembergische CDU erwägt sogar eine Klage gegen die Volksabstimmung. "Es liegen klare Hinweise auf Verfassungsverstöße vor", sagte CDU-Fraktionschef Peter Hauk den Stuttgarter Nachrichten. Deshalb werde man eine Klage vor dem Staatsgerichtshof prüfen.

ÖPNV soll massiv ausgebaut werden

Während sich die Grünen bei Stuttgart 21 nicht gegen die SPD durchgesetzt haben, konnten sie zumindest beim zweiten großen Streit in der Verkehrspolitik den SPD-Forderungen nach mehr Geldern für den Straßenneubau weitgehend einen Riegel vorschieben. Neue Gelder soll es nur für den Straßenerhalt geben. Gleichzeitig soll der öffentliche Personen- und Nahverkehr massiv ausgebaut werden.

Einen gegenüber der eigenen Bevölkerung unpopulären Schritt wagt Grün-Rot mit der Ankündigung, die Festlegung allein auf Gorleben als Endlager für radioaktive Abfälle aufgeben zu wollen. Im Koalitionsvertrag wird ein ergebnisoffenes bundesweites Suchverfahren angestrebt.

Endlagersuche auch in Baden-Württemberg

Damit könnte die Endlagerentscheidung auch auf Baden-Württemberg fallen. Bislang hatten sich vor allem die süddeutschen Länder Bayern und Baden-Württemberg geweigert, über einen Endlagerstandort bei sich auch nur nachzudenken.

Über die insgesamt 83 Seiten umfassende Koalitionsvereinbarung stimmen am 7. Mai Sonderparteitage der Grünen in Stuttgart und der SPD in Sindelfingen ab. Zuvor aber geht Kretschmann auf Bürgertour. In Stuttgart, Mannheim, Ulm und Konstanz will er den Koalitionsvertrag erläutern.

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9 Kommentare

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  • F
    Feige

    Die Grünen sind feige.

     

    Alle großen Ministerien haben sie der SPD überlassen und machen jetzt nur ein bischen Umwelt, Bildung, Integration. Keine Finanzen, keine Wirtschaft usw.

     

    Heuchelei, da hätten sie zeigen müssen was sie drauf haben.

     

    Ich bin was die Grünen betrifft skeptisch. Es hätte mir sehr gefallen ihr Wirken in den Topminsiterien in BW zu beobachten.

     

    In Hinblick auf 2013 hätte man zumindest mal eine Vorstellung davon bekommen können, wie das denn so auf Bundesebene wäre.

     

    Mein Eindruck jetzt: Sie können es eigentlich nicht, und geben es dem Profi SPD (Profi nur im Sinne, dass die solche Posten gewöhnt sind, nicht wegen dem Können!).

    Außerdem haben Sie vielleicht nicht den Mut bei desolater Haushaltslage zu operieren, was sie aber bis 2013 besser drauf haben sollten.

     

    Tja, wie soll ich euch eine Chance geben, wenn ihr die Ämter nicht besetzt? Ich wähle eher rational, denn emotional. Ich brauche Ergebnisse nicht Gefühle!

  • DP
    Daniel Preissler

    Steuererhöhungen, Ausbau des ÖPNV und Abschaffung der Studiengebühren sind sozial, längeres gemeinsames Lernen auch.

    Aufstockung von Hartz-IV ist meines Wissens Bundessache (wie das meiste), und etwas anderes "Soziales" fällt Ihnen, Frau Rohr, ja scheinbar auch nicht ein.

    Da es in BW tatsächlich weniger akute ökonomisch-soziale Probleme gibt als anderswo in der BRD, kann man sich hier auch eher auf Nachhaltigkeit konzentrieren. Die größten sozialen Probleme sind hier Atomkraft, S21 und eben: Segregation durch Bildung.

  • JR
    Jörg Rupp

    Dazu hat die taz nix geschrieben, steht aber ziemlich viel im Koalitionsvertrag. Selber lesen hilft.

  • BR
    Bleed Ranner

    Rumgemurkse am Bildungssystem, welches eines der Besten ist (PISA- Studie), wird negative Folgen haben. Es ist ja nur eine Verlegenheitsnummer, weil sonst alle anderen griffigen Themen, die die Grünen an die Macht gebracht haben, in Regierugsverantwortung plötzlich ganz anders aussehen. Oder glaubt einer wirklich, das der Rückschritt auf ein 13jähriges Abitur der Bringer ist?

  • F
    franziska.qu

    Dass der bisherige Bildungserfolg im Ländle vom Geldbeutel der Eltern abhing, ist ja eine Behauptung, die zu beweisen wäre. Es wird geändert, was gut war, ohne erst zu prüfen, was wirklich ist. In der ganzen ideologischen Bildungsdiskussion wird das Verhalten der Eltern und deren (NIcht)Interesse an einem Bildungserfolg ausgeklammert. Zu beantworten bleibt die Frage, ob mit den aktuellen Bildungsentscheidungen die zu einer real nicht vorhandenen Nivellierung bei den Kindern führen, nicht zu mehr Privatschulen führt. Ebenfalls staatlich gefördert, ohne den Druck und die Bremse einer Gleichmacherei im Lerntempo.Interessant wäre, zu erfahren, auf welche Schulform die (falls vorhanden) Kinder der aktuellen Protagonisten gehen. Nachweisbar ist in der Bundesrepublik, dass das Bildungsniveau in vielen Bundesländern sinkt, immer mehr Kinder wegen schulischer und sozialer Defizite als nicht Ausbildungsfähig bezeichnet werden. Studien zufolge hat jeder 4. Jugendliche in Deutschland Probleme mit den Klassikern Lesen, Schreiben, Rechnen. Dies vor dem Hintergrund, dass die Kinder durch eine Schulreform und Bildungsoffensive nach der anderen gejagt werden.Vielleicht sollte man erst mal Innehalten und den bisher rein ideologisch propagierten angeblichen Erfolg neuer Schulversuche reflektieren. Berlin und Brandenburg lassen mit ihren Fortschritten die Rückschritte sind, grüßen.

  • U
    Unbequemer

    Bildung - Bildung soll das sein, wenn Lernunwillige und Abloser 10 Jahre mit lernbereiten Kindern zwangskaserniert werden, um Unterschiede zu nivellieren?

    Die Probleme von Schulinteresselosen Familien werden hier auf Kosten der Familien gelöst, die sich um ihre Kinder kümmern. Das ist ein übles Stück kommunistischer Gleichmache und sonst gar nichts.

  • MR
    Monika Rohr

    "Hauptsache Bildung" Gibts denn in BaWü keine sozialen Probleme, keine Niedriglöhner, die Aufstockung nach Hartz-IV brauchen, usw. usf.

     

    Wo bleibt den das Soziale, Ihr Grünen????

  • M
    Momo

    "Damit könnte die Endlagerentscheidung auch auf Baden-Württemberg fallen. "

     

    Ein kleiner Blick auf die Erdbebenzonenkarte genügt,

    um nach Fukushima, dies für eher unwahrscheinlich zu halten

     

    www.forsten.sachsen.de/umwelt/download/geologie/Erdbebenzonenkarte.jpg

     

    Baden-Würtemberg (Rheingraben, Schwarzwald, Alb, Bodensee) ist das seismisch aktivste Bundesland und somit wohl kaum als Endlager geeignet.

     

    Dies weiß wohl auch Kretschmann. Dennoch (oder vielleicht auch gerade desswegen (aus Kretschmanns Sicht) ?) ist es richtig die gemeinsame Verantwortung aller Länder für ein Endlager zu betonen. Könnte es doch manch einen Atom-Ministerpräsidenten nachdenklicher stimmen.

  • RK
    Rudolf K.

    Ja, 12,4% der Wahlberechtigten haben zum grünen MP zugestimmt. Und jetzt sieht man schon die Ansätze: Wirtschaft : Nur noch ein halbes Ministerium, zusammengelegt mit dem Finanzministerium -> Wirtschaft ist nicht so wichtig, aber die Unternehmen abzocken

    Energie zum Umweltministerium: Wirtschaft nicht mehr wichtig, hauptsache grüne Ideologien durchgesetzt...