: Der fleißige Kommunist
Walter Ulbricht war nicht nur ein frühzeitig vergreister Tollpatsch, er war auch ein geschickter Machtpolitiker. Das belegt eine kundige Biografie von Mario Frank
Der Mann gilt als verkrampft, kalt, rachsüchtig und verschlagen. Seine Stärken: Er begriff schnell, war mutig und fiel durch seinen ungeheuren Fleiß auf. Er liebte das Goethe-Zitat: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ – und unterzeichnete Todesurteile angeblicher Staatsfeinde kurz mit „W U“. Mario Frank hat nun über Walter Ulbricht, den einst mächtigsten Mann der DDR, eine neue Biografie geschrieben, denn „die bisherige publizistische Behandlung Walter Ulbrichts wird seiner Bedeutung als Schlüsselfigur des Kommunismus in Deutschland nicht gerecht“. Damit ist angedeutet, dass es zu einfach ist, in Walter Ulbricht den bedingungslosen Stalinisten zu sehen, der sich zudem durch linkische Auftritte häufig der Lächerlichkeit preisgab.
Überraschend beginnt die Biografie im Jahr 1953, dem sechzigsten Lebensjahr Ulbrichts. Durch die anhaltende Massenflucht ist die DDR dabei, in eine schwere Krise zu schlittern. Nachdem der Diktator zudem die Erhöhung der Arbeitsnormen verfügt hat, bricht ein Volksaufstand aus. Die Unzufriedenheit reicht bis ins Politbüro, wo eine Fraktion um Rudolf Herrnstadt und Wilhelm Zaisser zur gleichen Zeit eine Palastrevolte anzettelt. Nachdem auch die Sowjets von Ulbricht abrücken, scheint seine Entmachtung unausweichlich. Doch der SED-Chef verfügt über die Eigenschaften des Machtmenschen: Er lässt alle Normenerhöhungen zurücknehmen und als eine „Reihe von Fehlern“ bezeichnen. Während er selbst wendig bis zur Selbstverleugnung agiert, schaltet er gleichzeitig seine Gegner gnadenlos aus. Herrnstadt und Zaisser verlieren trotz demütiger Selbstkritik letztlich alle Ämter und spielen nie wieder eine Rolle in der Politik.
Nach diesem furiosen Einstieg erzählt Mario Frank das Leben Walter Ulbrichts chronologisch. Er schildert dessen Herkunft aus einer Leipziger Arbeiterfamilie und seine Wanderjahre als Tischlergeselle. In die KPD tritt Ulbricht 1920 ein. Wegen seines Organisationstalents steigt er schon drei Jahre später ins Zentralkomitee auf, immerhin das zweitwichtigste Gremium der Partei. Er hat verschiedene wichtige Ämter in der KPD inne, ehe ihn die Machtergreifung der Nazis ins Exil zwingt, das er hauptsächlich in Moskau verbringt.
Nach Kriegsende betrauen ihn die Sowjets mit dem schnellen Aufbau der KPD in ihrer Besatzungszone. Ulbricht ist ihr deutscher Statthalter in der SBZ. In dieser Funktion wird er auch zum ersten Mann in der neu gegründeten DDR.
Seine erfolgreichste Zeit erlebt Ulbricht zwischen 1958 und 1965, also fast am Ende seiner langen Politikerkarriere. Er muss Stalin nicht mehr fürchten, und seine innerparteilichen Gegner sind ausgeschaltet. Außerdem stabilisiert sich die DDR nach dem Mauerbau 1961, ja selbst die Wirtschaft verzeichnet einen Aufschwung. Erst mit dem Machtantritt Breschnews sinkt der Stern des SED-Chefs. Er ärgert Moskau mit Alleingängen wie der versuchten Liberalisierung der Jugend-, Kultur- und Wirtschaftspolitik. Der Absturz lässt nicht lange auf sich warten. Als Willy Brandt 1969 der DDR ein „Miteinander“ anbietet und Ulbricht die Offerte annehmen will, isoliert er sich. Honecker, der Mann Breschnews in der DDR, bricht offen mit Ulbricht und stürzt ihn.
Mario Frank hat ein leicht verständliches und sehr durchdachtes Buch über Walter Ulbricht geschrieben – einen Mann, der „immer im Dienst war“. Dementsprechend finden sich nur 21 Seiten über den „Privatmann“. Vielleicht ist das der Grund, warum das Buch weniger eine Biografie als vielmehr eine Geschichte der KPD und der DDR ist, mit besonderem Blick auf den Politiker Walter Ulbricht. Dabei überrascht nicht zuletzt: Der alternde, aber reformfreudige Diktator wirkt im Machtkampf mit dem Betonkopf Honecker nicht einmal unsympathisch.
MARIUS ZIPPE
Mario Frank: „Walter Ulbricht. Eine deutsche Biographie“, 540 Seiten, Siedler Verlag, Berlin 2001, 24 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen