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Der eigene Vater als Filmheld

■ Neu im Kino: „Nobody's Business“von Alan Berliner / Kotzbrocken wird Sympathieträger

Papa Berliner hat überhaupt keine Lust dazu, von seinem Sohn, dem Dokumentarfilmer Alan Berliner, filmisch portraitiert zu werden: Sein Leben interessiere doch keinen, sei „nobody's business“! Aber gegen die liebevolle Hartnäckigkeit seines Sprößlings streckt er im Laufe des Films mehr und mehr die Waffen. Ihre Streitgespräche voller Pathos und Humor (mit Einblendungen von Boxkampfszenen) liefern den dramaturgischen Faden des Films. „Dieser Film wird garantiert ein Flop!“sagt Vater Berliner, und sein Sohn würde eh „seine von Gott gegebenen Talente verschwenden.“Mit seiner Intelligenz hätte er Buchhalter oder Anwalt werden können, statt für seine Filmchen ständig nur um Stipendien zu betteln. Das sitzt, aber dafür piesackt der Sohn seinen Erzeuger und Hauptdarsteller schön penetrant mit der Frage nach der elterlichen Scheidung. „Noch solch eine Frage, und ich stehe auf und gehe!“droht Papa - und läßt sich auf den nächsten Schlagabtausch ein.

Auch die Ahnenforschung des amerikanischen Juden Berliner, der in ein kleines polnisches Dorf reiste, um dort nach den Gräbern seiner Ur-Großeltern zu suchen, beeindrucken den Vater wenig – wenn der Vater mit dessen Vater doch kaum ein Wort gewechselt hat. Langsam erkennt man, warum Berliners Vater solch ein pessimistischer Eigenbrötler geworden ist. Und plötzlich erscheinen die Streitgespräche in einem ganz anderen Licht: Auf eine verdrehte Weise versichern sich die beiden Männer durch sie ihrer Liebe zueinander. Und der Satz „Du bist definitiv mein Sohn!“macht all die Schimpfereien null und nichtig.

Berliners große Kunst liegt darin, solche psychologischen Feinheiten zu vermitteln, ohne das Publikum grob mit der Nase darauf zu stoßen. Und obwohl „Nobody's Business“ja im Grunde nur aus Gesprächen besteht (eine sympathischen Mischpoke von Vettern, Basen, Großcousins), ist er alles andere als ein öde Abfolge von sprechenden Köpfen. Berliner schneidet schnell und mit viel Witz zwischen Wochenschau-Ausschnitten, Familienphotos, Homemovies und stilisierten Grafiken hin und her; den Vater sieht man gerade so oft, daß man von jedem Bild neu überrascht wird. Zum Ende des Filmes läßt er sich sogar darauf ein, daß sein Sohn ihn bei einem typischen Tagesverlauf mit der Kamera begleitet, und spätestens nun erscheint er einem viel verletzlicher und menschlicher als der Kotzbrocken vom Anfang des Films.

Berliner war so klug, zu erkennen, daß gerade das ganz Persönliche, wenn es so ernsthaft, mitfühlend und wahrhaftig erzählt ist, universell und für alle interessant wird. Während man sich „Nobody's Business“ansieht, ertappt man sich immer wieder dabei, sich vorzustellen, wie wohl solch ein Film über den eigenen Vater aussehen würde. Wilfried Hippen

Originalfassung mit Untertiteln im Kino 46bis Dienstag um 19 Uhr

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