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X-Auftritt von Ali ChameneiDer digitale Ajatollah

Irans oberster Führer, Ali Chamenei, twittert aus einem geheimen Bunker – voller Drohungen, Propaganda und mit einem bisschen Poesie

„Naughty & playful“: Vor allem ältere Tweets von Ali Chamenei lassen staunen. Das Foto zeigt den Ajatollah Anfang Juni Foto: WANA/handout via reuters

In welchem Bunker sich Ajatollah Ali Chamenei, Irans oberster Führer, momentan aufhält, ist in der Islamischen Republik ein gut geschütztes Staatsgeheimnis. Laut einem Bericht der New York Times verzichtet er bis auf Weiteres auf elektronische Kommunikation, damit er von Israel schwerer zu finden sei.

Der Ajatollah – die Bezeichnung für einen hochrangigen schiitischen Geistlichen – regiert Iran seit 1989 und lebt notorisch zurückgezogen. Nun hat er drei Nachfolger genannt, weil er um sein Leben fürchtet. Er soll mit der Außenwelt nur noch durch einen engen Berater kommunizieren. Und wohl auch über treue Mittelsmullahs, die seine Botschaften auf der Social-Media-Plattform X tippen.

Auf X, ehemals Twitter, hat der 86-Jährige mit dem Nutzernamen @khamenei_ir knapp zwei Millionen Follower – und ein graues Häkchen, als Verifizierung eines offiziellen staatlichen Profils. Die Tweets sind überwiegend auf Englisch, weitere Accounts pflegt sein Team auf Farsi, Bengali und Aserbaidschanisch.

Meistens gibt sich Chamenei auf der Plattform kämpferisch. Zu seinem rhetorischen Repertoire gehört etwa „Death to America“ und die Vernichtung der „Zionisten“. Das seien keine bloßen Slogans, sondern politisches Programm, betont er. Er leugnet auch offen den Holocaust.

Mehrere Tweets pro Tag

Am 7. Oktober 2023, als die Hamas Israel angriff, teilte Chamenei ein Video, in dem junge Menschen vom Nova-Festival über ein Feld fliehen, nachdem die palästinensische Terrororganisation die Veranstaltung überfallen hatte. „So Gott will, wird der Krebs des usurpatorischen zionistischen Regimes durch das palästinensische Volk und die Widerstandskräfte in der gesamten Region ausgerottet werden. #AlAqsaStorm“, schrieb er dazu.

Diesen Ton setzt er im aktuellen Iran-Israel-Krieg fort. In den vergangenen Wochen twitterte Chamenei oft mehrmals pro Tag. Vergangene Woche ließ er über die Raketenangriffe auf israelische Städte veröffentlichen: „Der zionistische Feind wird bestraft.“ Und die Tatsache, dass die USA dem jüdischen Staat, den er ein „terroristisches Regime“ nennt, beispringen, sei „ein Zeichen seiner Schwäche und Unfähigkeit“.

„Wir werden den Zionisten keine Gnade zeigen“, so Chamenei. Er teilte auch ein KI-Bild dreier Raketen, die aus einem Monument abgefeuert werden, dazu der Koranvers: „Hilfe von Allah und eine bevorstehende Eroberung“.

Für Aufmerksamkeit sorgen in den vergangenen Tagen aber vor allem einige ältere Tweets des Ajatollahs. So schrieb Chamenei im September 2013: „I went 2school w/a cloak since1st days;it was uncomfortable 2wear it in front f other kids,but I tried 2make up 4it by being naughty&playful“. Er sei zur Schule mit einem Umhang gegangen, und das sei ihm vor den anderen Kindern unangenehm gewesen, das habe er dadurch kompensiert, indem er frech und verspielt gewesen sei.

Die Frau als Blume

Weiter hieß es im selben Monat: „U can’t leave all tasks 2ur #wife&then criticize her.Even if she's a scientist/politician,yet when interacting within family,she's a #flower.“ Man kann nicht alle Aufgaben seiner Ehefrau überlassen und sie dann kritisieren, denn sie sei eine Blume. Ein starker Kontrast zu der frauenfeindlichen Politik seines Regimes, in dem Frauen verhaftet, gefoltert und sogar getötet werden, wenn sie sich nicht „richtig“ verschleiern.

Chamenei verrät auf X auch etwas über seine Literaturvorlieben. Im Februar 2015 schrieb er etwa, er stehe nicht auf Kino und visuelle Künste, aber was Poesie und Romane angeht, sei er kein typisches Publikum. „#Books #AvidReader.“ In einem weiteren Tweet lobt er Honoré de Balzac, Victor Hugo und russische Schriftsteller für ihre „kunstvolle Darstellung von Realitäten, die sich im Herzen einer Gesellschaft abspielen“.

Auf seiner eigenen Plattform Truth Social schrieb Donald Trump am vergangenen Dienstag, er wisse, wo Chamenei sich verstecke. „We are not going to take him out (kill!), at least not for now“, so der US-Präsident. Chamenei werde nicht getötet, zumindest vorerst nicht. In der Zwischenzeit twittert der Ajatollah weiter. Zuletzt am Samstag: „Palästina ist für uns ein zentrales Thema, und der Sieg der Palästinenser ist etwas, das feststeht.“

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