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■ Der deutsch-französische Vertrag sorgt für IrritationenParadoxe des europäischen Aufbaus

Unverständnis überall. Bundesverteidigungsminister Volker Rühe versteht nicht, wie jemand etwas gegen den deutsch-französischen Geheimvertrag über eine gemeinsame Sicherheitspolitik haben könnte. Der rechte Flügel der französischen Gaullisten versteht nicht, wie die von ihrer eigenen Partei getragene Regierung überhaupt erwägen könnte, die französische Atomstreitmacht zu europäisieren. Der französische Außenminister Hervé de Charette ist gleich ganz auf Abwehr eingestellt: Bei dem handele es sich „weder um einen Vertrag, noch nicht einmal um ein Abkommen, noch weniger um ein geheimes Dokument.“

Viel Lärm um nichts also? Das hängt vom Blickwinkel ab. Aus deutscher Sicht mag es zwingend erscheinen, daß in die europäische Einigung auch die Atomwaffen Frankreichs und Großbritanniens einbezogen werden sollen. Aus französischer und britischer Sicht mag es genauso logisch sein, daß dies einen nicht hinnehmbaren Verlust von Souveränität und Macht darstellen würde – schließlich haben Franzosen und Briten ihren atomaren Schirm mit den eigenen Steuergeldern teuer bezahlt, während Deutschland von solchen Aufgaben unbelastet zur Wirtschaftsmacht aufsteigen konnte. „Natoisierung“ ist in Paris noch heute ein Schimpfwort, in Bonn dagegen ist die Nato Grundlage der Außenpolitik. Schon bei den Debatten um die Europäische Währungsunion hat sich ja gezeigt, welche Unterschiede es trotz aller Gemeinsamkeiten zwischen Bonn und Paris gibt. Die einen hoffen auf die Ausdehnung der deutschen Geldwertstabilität auf ganz Europa, die anderen wünschen sich eine gesamteuropäische Währungshüterin, die die nationale Macht der Bundesbank bricht. Zugleich aber begreifen die Regierungen offenbar weder in Deutschland noch in Frankreich, daß jede weitere Annäherung dieser beiden mächtigsten Länder Westeuropas zum Entstehen einer noch mächtigeren Achse führt, die im Zweifelsfall ihre eigenen Interessen vertritt und daher bei anderen Staaten auf Argwohn stößt.

Wieder einmal zeigt sich, daß mit zunehmender Nähe der europäischen Kernmächte nationale Eigenständigkeiten nicht verschwinden, sondern ganz im Gegenteil miteinander in Reibung geraten und schärfere Konturen erhalten. Nichts ist geeigneter als ein Geheimvertrag, der weder geheim noch Vertrag sein soll, als dieses zentrale Paradox des europäischen Aufbaus in Erinnerung zu rufen. Dominic Johnson

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