: Der Unbefleckte
Rudi Völler weiß, dass man ihm das Vorrundenaus früher oder später angekreidet hätte. Deshalb tritt er zurück
BERLIN taz ■ Den gewieften Beobachtern unter den Reportern kam die Chose am Tag danach gleich spanisch vor. Zwar erklommen auch diesmal, wie an all den ganz normalen Tagen zuvor, drei Männer das Podest der obligatorischen Pressekonferenz des Deutschen Fußballbundes (DFB), mit Normalität aber, das konnte man sofort erspüren, würde diese Fragestunde nichts zu tun haben – und an keinem der drei Herren da vorne konnte man das besser ablesen als an: Rudi Völler. Das legere T-Shirt der Vortage war dunklem Anzug und Krawatte gewichen, und mit ihm war auch das allseits bekannte Rudi-Lächeln verschwunden. Dass zur Rechten des deutschen Teamchefs auch noch Verbandspräsident Gerhard Mayer-Vorfelder Platz nahm, machte die Sache nicht nur noch unheimlicher, sie machte sie unerträglich. Auf jeden Fall klar war: Es war was faul im Fußballstaate Deutschland – und nicht lange dauerte es, bis Rudi Völler selbst das traurige Geheimnis lüftete. „Was ich gestern noch nicht gesagt habe, aber schon im Hinterkopf hatte“, sagte der Teamchef mit brüchiger Stimme: „Ich werde von meinem Amt zurücktreten.“
Pause. Stille. Schließlich Blitzlichtgewitter. Es war eine ziemliche Bombe, die da hochgegangen war auf der letzten Pressekonferenz der deutschen Kicker bei dieser EM in Portugal – und sie war von Völler selbst und durchaus überlegt gezündet worden. „Er hat uns erklärt, dass das keine spontane Entscheidung ist, die er unmittelbar nach dem Spiel getroffen hat“, sagte Mayer-Vorfelder. „Er hat sich das genau und schon zuvor überlegt, und wir haben diese Entscheidung zu akzeptieren, auch wenn wir sie bedauern.“
Keine Frage: Man muss Rudis Entscheidung bedauern. Aber man kann sie auch verstehen. Und wie sehr sich der plötzlich ehemalige Teamchef die Sache tatsächlich im Vorfeld überlegt hatte, wurde deutlich an den Sätzen, mit denen er seinen Rücktritt nun begründete. „Ich hatte das Gefühl, dass es bis zur WM im eigenen Land nur jemand machen kann, der unbefleckt ist, der einen gewissen Kredit hat. Einen ähnlichen Kredit, wie ich ihn hatte vor vier Jahren, als ich begann. Das ist wichtig“, sprach Bundesrudi – und jedes seiner traurigen letzten Worte war einfach nur wahr, Völler ist lange genug im schmutzigen Geschäft, um das zu wissen. Vielleicht wäre er über das Vorrundenaus bei dieser EM gerade noch mit heiler Haut hinweggekommen, es gibt sogar Anzeichen dafür, dass es so gewesen wäre. Aber dann? Wie wäre es dann gekommen in den zwei Jahren bis zur WM im eigenen Land und einem dann doch zumindest angeschlagenen Teamchef? „Ich weiß, ich hätte so einen Rucksack mit mir rumgschleppt mit diesem Vorrunden-Aus“, sagte Völler. Und mit diesem schweren Rucksack wäre es schwer gefallen, die Rolle des Teamchefs so auszufüllen, wie es von Anfang an Völlers Verständnis war und seine vielleicht größte Stärke: „Für den DFB oder für die Nationalmannschaft oder für die Spieler würde es schwierig werden, wenn nicht vorne jemand dransteht, der gewisse Dinge auffängt.“
Völler hat vier Jahre lang viele Dinge aufgefangen, und nun, da er geht, ist zwar noch lange nicht alles gut mit dem deutschen Fußball, aber doch zumindest alles viel, viel besser. „Es sieht nicht so schwarz aus wie vor vier Jahren“, weiß Völler selbst, und dass er darauf auch ein bisschen stolz ist, kann man hören. Als er damals das Amt von Erich Ribbeck übernommen hatte, herrschte das blanke Chaos im Fußballland, nun da er es abgibt, sind die Dinge doch weitgehend geordnet. Deutschland hat wieder das, was man eine Mannschaft nennt; die Mannschaft spielt das, was man Fußball nennt, zumindest bisweilen; und sogar die Nachfolge ist einigermaßen geregelt, jedenfalls kann es kaum Zweifel geben, dass der Ersatz-Völler Ottmar Hitzfeld heißt. „Ich war Trainer bei Borussia Dortmund und Bayern München. Jetzt, nach dem Rücktritt von Rudi Völler, wäre es eine logische Folge für mich, Bundestrainer zu werden“, schob sich der 55-Jährige gestern bereits in die Pole-Position auf der Bewerberliste.
Und Rudi, uns Rudi? Will erst einmal Pause machen, abschalten, ausspannen, er hat sich das verdient. Und doch wollte er seinen Urlaub nicht antreten, ohne seine Teamchefhand ein letztes Mal über jene schützend zu halten, denen er vier Jahre vorstand: „Der Mannschaft kann man keinen Vorwurf machen, sie hat alles aus sich herausgeholt.“ So ist Rudi. Nein. So war er.
FRANK KETTERER