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Der Strom, der aus der Kälte kam

Der Kauf der Berliner Bewag ist nur der erste Schritt: Der schwedische Konzern Vattenfall, treibende Kraft hinter HEW, will Europas Nummer drei werden

aus HamburgSVEN-MICHAEL VEIT

Carl-Erik Nyquist gilt in seiner Heimat als gewiefter Taktiker und Jörgen Anderson als kühler Stratege. Mitte der 90er-Jahre war Letzterer als sozialdemokratischer Energieminister federführend bei der vollständigen Liberalisierung des Energiemarkts in Schweden. Diesen „Vorsprung an Know-how wollen wir hier einbringen“, kündigte Anderson im November vorigen Jahres an, als mit dem Erwerb von 25,1 Prozent an den ehemals stadtstaatlichen Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) vor einem Dreivierteljahr „der Einstieg auf den Kontinent“ begann, wie Nyquist es nannte.

Wie groß dieser Vorsprung ist, zeigt sich jetzt. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall, geführt von Aufsichtsratschef Anderson und seinem Vorstandsvorsitzenden Nyquist, mischt den Strommarkt in Deutschland auf. Gestern kam eine Mehrheitsbeteiligung an der Berliner Bewag hinzu, bis Anfang nächsten Jahres wollen die Schweden 100 Prozent am ostdeutschen Stromversorger Veag und am Lausitzer Braunkohleunternehmen Laubag erwerben, Ende 2001 sollen 87,4 Prozent der HEW in Händen der Stockholmer sein.

93 Jahre nach seiner Gründung will der skandinavische Energiemulti „Wasserfall“, der mit kleinen Wasserkraftwerken am Polarkreis begann, einer der drei ganz Großen auf dem Strommarkt in Europa sein. Mit der geballten Finanzkraft des zurzeit noch sechstgrößten europäischen Energiekonzerns im Rücken steigen die HEW nun selbst vom zweitrangigen Lokallieferanten für Hamburger Steckdosen zum Großkonzern in Deutschland auf. Durch die Übernahme der Bewag wird HEW-Vattenfall zur Nummer vier in der Republik.

Der am Mittwoch geschlossene Deal zwischen HEW und E.ON, der den Hamburgern satte 60 Prozent an ihrem Berliner Pendant sichert, „ist nur der erste Schritt“, erklärte HEW-Chef Manfred Timm gestern sichtlich zufrieden. Seine „Gesamtstrategie“ und die seiner Chefs in Stockholm zielt auf Veag und Laubag. Die Hamburger, mit einem Atomstromanteil von etwa 75 Prozent bislang der führende Kernspalter in der Branche, wollen etwa zwei Milliarden Mark für die Übernahme auf den Tisch legen.

Sehr viele Konkurrenten in dem demnächst beginnenden Bieterverfahren haben Vattenfall-HEW nicht zu fürchten. Die sechs bisherigen Großkonzerne, die sich im gegenwärtigen Fusionsfieber jeweils paarweise zu den drei Multis RWE/VEW, E.ON (Veba/Viag) und EnBW/EdF zusammenschlossen, müssen aus kartellrechtlichen Gründen ihre Aktien in Berlin und Ostdeutschland auf den Markt werfen.

Diese Entwicklung auf dem seit genau einem Jahr weitgehend liberalisierten Strommarkt in der Europäischen Union haben Anderson und Nyquist vorhergesehen: Sie sind auf die Sekunde topfit. Seit Beginn vorigen Jahres betreiben die Schweden eine atemberaubende Expansionsstrategie im Ostseeraum. In Finnland wurden drei Energieversorger aufgekauft, in Norwegen ging das Unternehmen ebenso mehrere Beteiligungen ein wie in Lettland, Estland und Polen. Bei einem Vorjahresumsatz von etwa sieben Milliarden Mark lag der Gewinn vor Steuern trotz leichten Rückgangs immer noch bei einer satten Milliarde Mark: Die Kriegskasse der Schweden ist prall gefüllt. Deshalb verhandeln sie seit geraumer Zeit auch bereits über die Aufstockung ihrer HEW-Anteile. Die Veba-Tochter PreussenElektra muss sich, so die Auflage der europäischen Wettbewerbshüter in Brüssel, wegen der Fusion der Muttergesellschaft mit Viag unter dem Dach der neu gegründeten E.ON von ihrem 15,4-prozentigen Aktienpaket an den Hamburgern trennen. Der Käufer heißt mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit Vattenfall. Hinzu kommt eine Neuabsteckung der Claims im westlichen Ostseeraum: Als Teil des Bewag-Deals übertragen die HEW ihre Beteiligung von 15,5 Prozent am zweitgrößten schwedischen Energiekonzern Sydkraft in Malmö an E.ON. Folgen dürfte in naher Zukunft der Verkauf der 21,8 Prozent, die Sydkraft an den HEW hält, wiederum an Vattenfall. Als Krönung wird – da sind die Auguren in Hamburg sicher – der Verkauf der restlichen 25,1 HEW-Prozente der Hansestadt an Vattenfall sein.

Diese Option zum Garantiepreis von 1,7 Milliarden Mark wurde vorigen November zwischen dem rot-grünen Senat an der Elbe und den Schweden vereinbart. Und der finanziell klamme Stadtstaat kann es sich gar nicht leisten, auf dieses Geld zur Haushaltssanierung zu verzichten.

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