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Der Staub der Straße

■ Seltsam antiquiert: Federico Fellinis Tragikomödie „La Strada“in der Inszenierung des Theaters N.N.

„Hier kommt der große Zampano“, ruft Gelsomina (Andrea Meissner) und trommelt dazu im Takt. Erst schüchtern, später ausgelassen und zum Schluß wie eine aufgezogene Puppe kündigt das naive, etwas zurückgebliebene Mädchen den Kettensprenger Zampano (Andreas Schäfer) an, den sie auf einer Wanderschaft als Schausteller durchs ländliche Italien begleitet.

Federico Fellinis Filmklassiker La Strada aus dem Jahr 1954 erzählt von zwei einsam bleibenden Menschen, „die äußerlich zusammen leben, aber in ihrem Innern durch astronomische Weiten voneinander getrennt sind“, wie es der italienische Regisseur einmal selbst ausgedrückt hat. Gelsomina versucht vergeblich, zum verschlossenen Zampano, der sie schlägt und herumkommandiert, eine gefühlvolle Beziehung aufzubauen. Als Zampano den Clown Matto (Thomas Griess) tötet, dreht die Ärmste durch und bleibt alleine auf der Straße zurück.

Nur langsam entfaltet die Tragikomödie in der Adaption desTheaters N.N. ihren Reiz. Das liegt zunächst einmal an der Wahl des Spielortes. Die Lichtwerk Altona Studios bieten zwar schöne, über zwei Etagen hohe Räumlichkeiten, doch wenn man unten sitzt, ist ab der zweiten Reihe wegen der kaum erhöhten Bühne die Sicht massiv behindert. Daß Gelsomina wie im Film karottenrote Haare unter der Mütze und Hosenträger über dem Ringel-T-Shirt trägt – was ein Szenenfoto von Giulietta Masina beweist –, ist auf allen Plätzen zu erkennen, doch daß die Strümpfe des Mädchens zerlöchert sind, erfährt nur, wer aufsteht oder sich auf die Stuhllehne setzt.

Genug der Meckerei. Nach anfänglichen Gewöhnungsschwierigkeiten recken die meisten Zuschauer brav die Hälse nach dem ungleichen Paar. Andrea Meissner als Gelsomina weiß auf ihrem Gesicht nuanciert alle Gefühlsregungen auszudrücken; glaubhaft verkörpert sie die naive Sensible, das freche oder enttäuschte Mädchen, die Wahnsinnige. Auch Andreas Schäfer als Zampano nimmt man den abweisenden und aggressiven Macho sofort ab.

Trotz großer schauspielerischer Leistungen, gelungener musikalischer Einlagen und einer bestechend minimalistischen Bühne, auf deren kaltem Weiß die Darsteller verzerrte Schatten werfen, wirkt das Stück seltsam antiquiert. Wenn auch Einsamkeit und Verständnislosigkeit zu den zeitlosen Themen zählen, sollte das Beziehungsmuster vom dummen, gefühlvollen Frauchen und dem starken Kerl, dem schnell mal die Hand ausrutscht, langsam wirklich der Vergangenheit angehören. Schade, daß diese Stereotypen nur ansatzweise ironisch durchbrochen werden, etwa wenn Zampano ins Publikum ruft: „Gibt es hier eine Frau, die ihren Mann liebt?“Und dann, ohne eine Antwort abzuwarten, gleich fortfährt: „Deshalb müssen Frauen in Fesseln gelegt werden.“

Karin Liebe

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