■ Der Start in die Fußball-Saison markiert den schleichenden Verfall eines kulturellen Fixpunktes. Die Zerstückelung des Spielplans bedeutet den medienbedingten Meuchelmord am tradierten Gesamtgerippe Bundesliga: Lebe wohl, du schöner Samstag
Noch kämpfen die Kirchen mit Leidenschaft um alle Exklusivrechte am Sonntag, da ist mit dem Samstag schon Schlimmeres passiert: Die große Göttin Bundesliga liegt als betörende Schönheit deutscher Samstage im künstlichen Koma. An diesem Wochenende, zum Beginn der 37. Saison, wird die Idee der sportlich gerechten Gleichzeitigkeit endgültig zu Grabe getragen.
Früher wurden Bundesligaspiele vereinzelt verlegt, heute heißt es offiziell: Sie werden verteilt. Von den neun Spielen jeder Runde finden jetzt immer zwei am Freitag statt und zwei werden auf den Primetime-Sendeplatz Sonntagabend abgeschoben. Bleiben am altehrwürdigen Liga-Samstag nur noch fünf statt sechs. Rechnerisch klingt das nicht dramatisch. Aber dramaturgisch ist die Kürzung von zwei Drittel auf quasi einen Halbspieltag eine Zäsur. Eine gute Folge hat das: Sat.1 hat seine Sendung „ran“ gleich um eine halbe Stunde gekürzt (neuer Beginn 18.30 Uhr) – allerdings nicht die Werbung, sondern den redaktionellen Brei.
Schlimmer dran ist das gute alte Live-Radio mit den legendären samstäglichen Konferenzschaltungen. Nur maximal fünf Spiele, lohnt das noch? Und wenn winters auch noch ein oder zwei Spiele ausfallen ... Günter Koch, „die Stimme Bayerns“, zur taz: „Die Reduzierung ist natürlich überhaupt nicht in unserem Sinn. Eigentlich ist es ein Wunder, dass wir noch leben.“ Und weil man „im Radio live immer Spektakel machen kann“, seien fünf Spiele „so eben erträglich“. Koch hat gut reden, er könnte bei nur einem Restspiel auch mit sich selbst eine Konferenzschaltung zelebrieren.
Der medienbedingte Meuchelmord am tradierten Gesamtgerippe Bundesliga korrespondiert mit einer geografischen Umverteilung unbekannten Ausmaßes: zehn der achtzehn Erstligisten kommen aus Provinzstädten oder regionalen Oberzentren. Ist das noch richtig Bundesliga, wenn zwischen Unterhaching, Ulm, Wolfsburg und Bielefeld konferenzgeschaltet wird? Im (sportlich ausgedünnten) Westen, wo der Kölner WDR die Sendungen koordiniert, findet schon am 3. Spieltag kein einziges Samstagsspiel mehr statt. Wozu noch am Radio mitbibbern, wenn es immer weniger zu bibbern gibt? Zu beklagen ist der schleichende Verfall eines kulturellen Genres, ausgerechnet nach dem Abstiegs-Herzschlagfinale des letzten Spieltages der Saison 1998/99, der die wohl großartigste Konferenzschaltung seit Ligagründung erbrachte: chaotisch, archaisch wild, mit dem Zufall als oskarverdächtigem Dramaturgen. Fachzeitschriften haben das wüste Reporter-Gestammel transkribiert und zur hymnischen Dokumentation verschriftet. Es liest sich wie ein prämortales Abschieds-Tohuwabohu.
Nur wer nicht nach Italien, England und Frankreich guckt, hält die Bundesliga noch für eine Topadresse. Auch national ist die Liga längst nicht mehr der Mittelpunkt des Fußballgeschehens, seit sie als langwierige Qualifikationsrunde für ausufernd viele andere Ligen (meist in Europa) missbraucht wird. Die Teams wollen nicht begeistern, sondern überleben; und man qualifiziert sich nicht für Europapokalfeste, sondern für oft quälende Überlebensübungen eine Stufe höher. „Was mit der Bundesliga insgesamt passiert, ist unmöglich“, schimpft Radiomann Koch: „Sie ist längst Nebenschauplatz geworden. Bald werden die Bayern nur noch mit der B-Mannschaft in der Bundesliga spielen.“
Und doch bleibt der Fan solcherart B-Liga treu, solange das Spektakel von interessierten Medien als supermegahammerbedeutsam hochgejazzt wird. Zu den Kerngründen des Fußballwahns zählt die ständig nagende Angst, etwas Bedeutendes zu verpassen. Hauptsache: Ich hab es gesehen. Egal wie es war. Bloß nicht nicht mitreden können. Und solange alles gesendet wird, haben alle alles gesehen. Schöner ist nur: etwas gesehen haben, was andere verpasst haben. Davon dann schwärmen. Doch genau das gibt es kaum noch.
Vielleicht wird die 2. Liga jetzt dazu. Nie bekam der Unterbau so viele Vorschusslorbeeren. 14 Ex-Bundesligisten spielen hier, dazu zwei ehemalige DDR-Oberligisten; 60 Nationalspieler mit 850 Einsätzen in einem Dutzend Traditionsclubs. Erwartet wird ein Zuschauerboom ohne Beispiel. Und in dieser Fan-Liga wird nicht alles zersendet wie oben in der TV-Liga. Was wühlt Fußballfreunde mehr auf: Ob Ulm sich hält, oder ob Gladbach zurückfindet? Mehr Herzblut als bei Unterhaching gegen Rostock (das ist 1. Liga) dürfte bei Nürnberg – Fürth oder Köln – Mönchengladbach fließen. Die Borussen-Freunde müssen trotz 8.000 verkaufter Dauerkarten im September-Spiel gegen Aufsteiger Alemannia Aachen aufpassen, dass sie noch die Mehrheit im eigenen Stadion haben werden. Der 1. FC Köln erwartet zum Auftakt mehr als 30.000 Zuschauer gegen Graumaus Rot-Weiß Oberhausen. Die zweite Liga hat zudem strukturell eingebaute Hochspannung. Wo drei Clubs aufsteigen und vier ab-, wird die Tabelle zum Katapult ohne Mittelfeld: Drei oder vier unglücklich vergeigte Spiele machen aus einem Topteam einen Kandidaten für die Regionalliga.
Und das will man schließlich: Dramatik, Leid, Verzückung. Vielleicht sogar dabei sein, auf einem richtig schön engen Stehplatz bei Stadionwurst und Becherbier. In der Bundesliga ist selbst der Meistertitel nur noch für den Briefkopf. Schließlich ist es reichlich bratwurscht, ob man Erster wird oder Zweiter, weil beide Plätze die Eintrittskarte ins Wunderland Champions League garantieren. Viel fehlt nicht mehr, und Papi gehört samstags wieder der Familie. Das wäre sogar schön – wenn Papi es freiwillig täte. Bernd Müllender, Aachen (2.Liga)
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