Der Staat als Unternehmer: Teure Sterbebegleitung?
Soll die Regierung Geld ausgeben, um angeschlagene Firmen zu retten? Die Diskussion über staatliche Hilfe für den Autobauer Opel ist in vollem Gange.
Deutschland ist ein Konzern. Nicht erst seit der aktuellen Finanzkrise gehört die unternehmerische Rolle der Kommunen, der Länder und des Bundes zum Modell der sozialen Marktwirtschaft. Allein der Beteiligungsbericht für 2008 verzeichnet 454 Firmen, die dem Bund ganz, teilweise oder mittelbar gehören. Hinzu kommen hunderte Betriebe im Besitz der Bundesländer.
Welche Unternehmen sind in öffentlicher Hand? Da gibt es zunächst die Firmen mit politischem Auftrag. Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) unterstützt beispielsweise afrikanische Staaten in der Landwirtschaft. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gibt Hausbesitzern verbilligte Kredite, um Solaranlagen auf die Dächer zu bauen und die Energiewende anzukurbeln. Dass diese Staatsunternehmen Gewinn machen, steht nicht im Vordergrund. Die politischen Ziele sind wichtiger - wobei kein Finanzminister etwas dagegen hat, wenn ein paar Milliarden Euro hereinkommen.
Zweitens besitzt der Staat wichtige Infrastrukturunternehmen. Heute sind noch die Bahn AG, die Telekom oder auch der Energieerzeuger RWE ganz oder teilweise im Besitz der öffentlichen Hand. Trotz aller Versuche, den Staat zurückzudrängen, entdecken Öffentlichkeit und Politiker immer wieder neue Gründe, warum es sinnvoll sein könnte, dass der Staat Schlüsselsektoren der Wirtschaft selbst steuert.
Sozialdemokraten und Gewerkschafter fordern die Verstaatlichung der Stromnetze, weil, so die Begründung, die vier großen Energieerzeuger Monopole der Stromtrassen aufbauen. Wenn eine solche Entwicklung aus technischen Gründen etwa nicht zu verhindern sei, sagt die Theorie des Staatskapitalismus, solle die öffentliche Hand die Monopole selbst übernehmen, um auch kleinen Stromproduzenten den Zugang zu den Leitungen zu sichern.
Und dann ist da noch das Krisenmanagement. In Zeiten des Wohlstandes kommt fast niemand auf die Idee, dass eine Regierung Anteile der Commerzbank übernehmen, eine Maschinenbaufirma wie Schaeffler retten oder Opel eine Bürgschaft geben solle. Die Dämme des Liberalismus werden aber ganz schnell hinweggespült, wenn tausende, zehntausende oder hunderttausende Arbeitsplätze bedroht sind. In der Krise stellt sich immer eine entscheidende Frage: Ist das betreffende Unternehmen grundsätzlich profitabel, oder schützt der Staat die Firma nur, weil sie aus politischen Gründen nicht pleitegehen soll? In den Fällen der Münchener Bank Hypo Real Estate oder des Autoherstellers Opel spricht einiges für die zweite Variante. Dann aber muss man sich über eines im Klaren sein: Es handelt sich oft um eine extrem teure politische Sterbebegleitung, die die Allgemeinheit finanziert. Einem Ende mit Schrecken ziehen Bürger und Politiker gern den Schrecken ohne Ende vor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen