Der Springer-Verlag und Wallraff: Versöhnen und spalten
Derzeit versucht eine Zeitung des Springer Verlages wieder einmal dem Journalisten Günter Walraff Verstrickungen mit der Stasi nachzuweisen. Warum?
Es hat schon fast Tradition: Ein Chef des Axel Springer Verlags will sich mit seinem größten Kritiker versöhnen – und plötzlich geht was schief, ganz kurz vor dem Händedruck. 1980 vertraute Axel Springer einem Reporter der Zeit an, er wolle mit Günter Wallraff sprechen.
Es lohne sich immer, miteinander zu reden, sagte Springer damals. Und das hieße für ihn auch, seinen entschiedensten Gegnern die Hand hin zu strecken. „Wenn Herr Wallraff mich sprechen möchte, kann er sofort kommen.“ Die Redaktion der Bild intervenierte, mit einem Brief an ihren Verleger. Axel Springer knickte ein und distanzierte sich von seinen Worten. Drei Jahre zuvor hatte sich Wallraff in die Bild-Dependance in Hannover eingeschlichen, um über Missstände bei Deutschlands größter Boulevardzeitung zu berichten. Ein Stich ins Herz des Verlags. Geschieht Mathias Döpfner, dem Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, dasselbe, was einst Verlagsgründer Axel Springer selbst geschah? Ist das Haus, das Döpfner leitet, immer noch unversöhnlicher als sein oberster Chef?
Vergangenes Jahr, im November, machte Döpfner öffentlich, dass er „minutiös“ aufklären wolle, wie der Verlag einst mit Günter Wallraff umgegangen sei. 1976 hatten Bild-Mitarbeiter Wallraffs Wohnung in Köln abgehört. „Wenn damals Dinge in unserem Haus gelaufen sind, die sich mit unseren Vorstellungen, mit unseren Werten nicht vertragen, dann wollen wir das wissen“, sagte Döpfner. Eine erste Recherche im Haus ergab, dass offenbar Akten vernichtet wurden. „Döpfner findet Springers Wallraff-Spitzel nicht“, meldete der Branchendienst „turi2“. Aber nicht nur Döpfner ließ recherchieren.
Auch Bild-Chefredakteur Kai Diekmann erklärte sich bereit, an der Aufklärung mitzuwirken. Das klang nach Versöhnung, nach Händedruck. Wie einst die Worte von Axel Springer. Sogar eine Einladung zum 100. Geburtstag des Verlagsgründers kommende Woche schickte man Wallraff kürzlich nach Köln. Der lehnte ab. Jetzt dreht sich der Wind plötzlich, die Betonköpfe klettern aus ihren Löchern. Warum jetzt?
Eine merkwürdige Jagd
Die Welt am Sonntag eröffnete am Wochenende auf vier Seiten eine merkwürdige Jagd auf Wallraff, mit einer Story, die „dick aufgeblasen“ sei, wie der Enthüllungsjournalist Hans Leyendecker (Süddeutsche) sagt: Ein Stasi-Agent soll an Wallraffs Bestseller „Ganz unten“ mitgearbeitet haben, Erscheinungsjahr 1985. Die Belege sind dünn. Mehr Kampagne denn Recherche.
Die anderen Springer-Blätter ziehen höchst verhalten nach, auch Bild. Der Rest des Blätterwalds ignoriert die Attacke. Oder versteht sie als das, was sie ist: ein verzweifelter Versuch, Wallraff zu schaden. Selbst unverdächtige Branchendienste wie „turi2“ melden: „Günter Wallraff Zielscheibe eines neuen Springer-Angriffs“.
Oder ist das Springer’sche Dialektik: die eine Hand zur Versöhnung ausstrecken und mit der anderen den Stahl schmieden, mit dem der Feind zur Strecke gebracht wird?
Die Wallraff-Jagd hat bei der Welt Tradition, vielleicht ist sie gar der letzte Spaß eines Blatts, das allmählich in der Irrelevanz versinkt. 2003 versuchten die Redakteure Dirk Banse und Michael Behrendt der „Ikone des bundesrepublikanischen Journalismus“ (Welt über Wallraff) eine IM-Tätigkeit anzuhängen. Die Recherchen hielten jedoch der Prüfung deutscher Gerichte nicht stand.
Nun versuchen Banse und Behrendt erneut, was ihnen vor neun Jahren nicht gelang: die Tätigkeit des Aufklärers zur Tätigkeit eines Agenten umzudeuten. Einer, der seit Jahrzehnten die Ungerechtigkeiten unseres Landes aufspürt, in Callcentern und Fabriken recherchiert, muss schließlich ein Umstürzler sein, nur so lässt er sich ins Weltbild einpassen. Sie wollen es ihm beweisen. Um jeden Preis. Versöhnung sieht anders aus.
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