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Archiv-Artikel

Der Sound einer Generation

betr.: „Bestseller auf dem Server“ (Unter dem Label „books on demand“ wird der Buchmarkt von digital produzierter Billigware, für die die Autoren selber zahlen, unterwandert), taz vom 5. 2. 03

Ja, es ist wahr: Bücher aus Zuschussverlagen und Books on Demand sind nur höchst selten gute Bücher. Doch ist es richtig, dass Autoren bekannter Verlage grundsätzlich mehr taugen als andere? Ist eine reguläre Veröffentlichung bereits ein Beweis dessen, was der VDS als „fachliches Können“ bezeichnet? Gewiss nicht.

Wer’s nicht glaubt, der studiere etwa die Klappentexte jener Titel, die seit einigen Jahre als „neueste deutsche Literatur“ vermarktet werden. So gut wie alle Autorinnen und Autoren waren oder sind journalistisch tätig; und auffallend viele leben in Berlin. Ein Zufall? Ach was. Das Talent so mancher Shooting Stars besteht allenfalls darin, am rechten Ort zur rechten Zeit Kontakte geknüpft zu haben und sie ausbauen zu können. Den Rest besorgen ihre Lektoren (die auch bloß Germanistik und Artverwandtes studiert haben – wie so viele Autoren) und die Marketingstrategen. Was auf der Strecke bleibt, ist die Literatur.

Eben deshalb gibt es immer mehr ernst zu nehmende Autoren, die ihre Bücher in Eigenregie als Book on Demand herausbringen; denn sie sind es leid, sich mit den Verlagen darüber herumzustreiten, was „die“ Leser angeblich lesen wollen und verkraften können. Ich als ehemalige Sortimenterin habe jahrelang an der Basis studieren können, dass „die“ Leser anders sind, als ein Großteil der Branche meint, nämlich aufgeschlossener und intelligenter; und inzwischen erfahre ich es beinahe täglich als Autorin.

Der Roman „Höhere Welten. Ein deutscher Alltagsroman“, den ich in diesem Jahr als BoD herausgebracht habe, ist zwar kein Bestseller und wird nie einer werden; doch was kümmert mich das? Er ist mein Werk, das Werk einer unangepassten Autorin, wird von meinen Lesern geschätzt und sagt mehr aus über unsere Zeit als vieles, wovon die Verlage tönen, es handele sich um den Sound einer Generation. Blödsinn! Der Sound einer Generation lässt sich nicht synthetisch erzeugen. Er kommt stets unzensiert von dort her, wo ihn kein Marktstratege vermutet. Die unbeachteten Bücher und CDs von heute sind die Klassiker von morgen. Und wer schon heute wissen will, was in 50 Jahren als wichtige Literatur von heute gelten wird, der mache sich kundig im Bereich der Books on Demand. Dort tummeln sich – wie im Programm bekannter Verlage – viele Nichtskönner; aber dort gibt es auch manch einen Text zu entdecken, der mehr ist als nur das Tagebuch irgendeines fiktiven oder realen Arschlochs.

HELLA STREICHER, Bremen