Der Seitenwechsel: "Ich wusste, ich tue dem Mieter Unrecht"
Der 62-jährige Helmut Kecskes hat rund 27 Jahre für die Gagfah gearbeitet. Dann stieg er aus und berät jetzt auch die Bewohner von Gagfah-Häusern.
taz: Herr Kecskes, über Sie liest man immer wieder, Sie seien nach 27 Jahren beim Wohnungsunternehmen Gagfah ausgestiegen. Aussteigen klingt, als wären Sie in einer Sekte gewesen.
Helmut Kecskes: Es hört sich auch immer so an, als wäre die Gagfah mein Erzfeind. Früher war das Unternehmen ein guter Arbeitgeber und auch ein guter Vermieter. Aber das kippte, als der Laden 2004 an die US-Fondsgesellschaft Fortress verkauft wurde und dann 2006 an die Börse ging – bis dahin konnte man was für die Mieter machen.
Heute ist die Gagfah in Hamburg vor allem dafür bekannt, Wohnungen verfallen zu lassen. Sie haben die Seiten gewechselt und eine Agentur gegründet, die Mieter berät, die in Gagfah-Wohnungen leben.
Eigentlich habe ich gar nicht die Seiten gewechselt, denn ich habe ja 1983 mal in der Wohnungswirtschaft angefangen, weil ich was für Mieter machen wollte. Das ging aber nach dem Verkauf der Gagfah nicht mehr, weil unser Job zum Retorten-Geschäft wurde. Es sollte bundesweit überall gleich funktionieren, damit der Konzern die Kontrolle hat. Und auch für mich hieß das, dass ich Arbeitsabläufe vorgeschrieben bekam.
Was hat Sie gestört?
Mich hat gestört, dass man die Wohnungen nicht mehr vernünftig in Stand setzen und auch keine Mieter mehr aussuchen konnte, die ins Haus passen. Früher haben wir beispielsweise darauf geachtet, welche Nationalitäten in einem Treppenhaus waren, haben geschaut, ob das Miteinander funktioniert, und die Gagfah hat regelmäßig Hoffeste und Kinderfeste veranstaltet. Nach dem Verkauf der Gagfah ging es nur noch darum, Leerstand abzubauen und Stacheldraht im Geldbeutel der Instandhaltung zu haben. Man war der Gute, wenn man seine zugeteilten Wohnungen vermietet hatte. Dann fängt man natürlich irgendwann an, die Wohnungen egal wie zu belegen, damit die Statistik stimmt, und auch, weil man mit den Kollegen mithalten will. Das ist vom Arbeitgeber auch so gewollt.
62, ist gebürtiger Hamburger und gelernter Maschinenbauer. Er war 27 Jahre bei der Gagfah, bevor er sich mit seiner Mieteragentur selbstständig machte. Kecskes hat zwei Kinder, trainierte mehrere Jahre eine Traber-Stute, singt im Shanty-Chor und ist am liebsten mit seinem Wohnmobil unterwegs.
Was war da so schlimm für Sie?
Es hat mich richtig mitgenommen, Mieter bei dringend erforderlichen Instandsetzungen nur hinhalten und vertrösten zu können. Den Mietern durfte ich ja nicht mitteilen, dass jede Reparatur über den Tisch der Genehmiger laufen muss, die wiederum nichts ausgeben sollen und wenig Ahnung von der Instandhaltung haben. Ich war dazu da, nach Argumenten zu suchen, wieso der Mieter zum Beispiel bei Schimmelpilz in der Wohnung die Verantwortung trägt. Ich wusste, ich tue dem Mieter Unrecht und musste es so machen, weil mein Arbeitgeber kein Interesse an einer Ursachenbeseitigung hatte. Dieses Spiel wird da heute noch gespielt.
Nur Sie spielen nicht mehr mit. Erinnern Sie sich an einen Schlüsselmoment, in dem Sie dachten: So, jetzt reicht es!
Nach dem Verkauf wurde der Gedanke, das Unternehmen zu verlassen, von Jahr zu Jahr stärker.
Aber irgendwann muss man doch beschließen: Es langt nun.
Naja, man muss ja auch sehen, dass Arbeit zwei Gründe hat: Sie sollte ein bisschen Spaß machen und man muss von irgendwas leben. Man kann also nicht einfach alles hinwerfen, ohne eine Alternative zu haben. Als mal wieder Stellen abgebaut werden sollten, hat man mir eine Abfindung angeboten. Da habe ich nicht lange gezögert. Die Selbständigkeit mit einer Mieteragentur war realisierbar und meine Gesundheit war mir wichtiger als ein unkündbares Arbeitsverhältnis.
Wie viel Geld haben Sie denn bekommen?
Ich war sieben Monate freigestellt, habe in der Zeit mein Gehalt weiterbekommen und habe dazu eine sehr faire Abfindung bekommen. Da hat der Betriebsrat gute Arbeit geleistet. Ohne die Abfindung hätte ich es auch gar nicht gewuppt. Ich meine, ich war 59, als ich gegangen bin, und da stellt einen ja niemand mehr ein. Es musste funktionieren.
Wieso haben Sie denn nicht die paar Jahre bis zum Ruhestand einfach ausgesessen?
Ich habe versucht, so zu arbeiten, wie es der Arbeitgeber wollte, aber es hat mich irgendwann krank gemacht. Natürlich hatte ich bei dieser Unternehmensstruktur vor, mit 63 abzuhauen und mich bis dahin irgendwie so durchzuhangeln. Etwas auszusitzen wird ja erst leicht, wenn man resigniert hat.
Jetzt wirken Sie sehr frisch und nicht so, als würden sie nächstes Jahr in Rente gehen.
Das hat sich auch völlig gedreht, ich denke überhaupt nicht daran, aufzuhören. Die Arbeit macht mir wirklich Spaß und ich bin gern für die Mieter unterwegs. Ich mache das so lange, wie es geht. Vielleicht gehe ich nachher mit Krückstock zu den Mietern.
Also eine rundum richtige Entscheidung?
Die Anfangszeit war natürlich schwer, aber was soll man mit 59 machen, wenn man sich nicht mehr wohlfühlt und einem niemand einen Job gibt? Beworben hatte ich mich vor meinem Abflug mehrfach. Es ist nicht meine Sache, zu sagen, ich halte das noch ein paar Jahre durch. Ich hätte es mir, glaube ich, auch nicht verziehen, wenn ich durchgehalten hätte und weitere Jahre meines Lebens mit einer Arbeit verbracht hätte, die mir an die Substanz ging.
Macht es Ihnen nichts aus, jetzt gewissermaßen gegen Ihre alten Kollegen zu arbeiten?
Ich arbeite nicht gegen jemanden, sondern für Mieter. Es war ja kein Geheimnis, dass ich mich bei den irren Arbeitsvorgaben mit meiner Arbeit nicht mehr wohlgefühlt habe. Einige Kollegen haben später schon gesagt, dass es mir nur um die Abfindung ging. Aber wer rechnen kann und mich besser kennt, der weiß das besser.
Es gab also Neid von den zurückgelassenen Kollegen?
So offen hat das niemand gesagt, aber ich glaube das schon und kann es verstehen. Es gehört ja auch ein bisschen Mut zu so einer Entscheidung. Ich war vor zwei Wochen als Berater der Mieter zum Gespräch bei der Gagfah, es ging es darum, ob und wie man zusammenarbeiten könnte. Als ich das Gebäude betreten, in die Gesichter der ehemaligen Kollegen geschaut und die Stimmung so aufgefangen habe, habe ich gespürt, dass es richtig war, dort wegzugehen. Die haben einfach einen Scheißjob. Und ich bin so froh, nicht mehr dazuzugehören. Vielleicht wirke ich deswegen frischer!
Das klingt alles so friedlich, aber es ist Ihrem alten Arbeitgeber doch eindeutig ein Dorn im Auge, dass Sie da jetzt immer noch mitmischen, oder etwa nicht?
Ich habe der Gagfah, schon bevor ich die Mieteragentur gegründet habe, angeboten, dass ich als freier Sachverständiger für sie arbeiten könnte. Ich wollte in die Wohnungen gehen, schauen, was gemacht werden muss und Gutachten für die Gagfah schreiben. Aber das wurde abgelehnt. Es gab zu der Zeit in ihrer Vorstellungskraft sehr beschränkte Führungskräfte und Entscheider, die heutigen kenne ich nicht. Im Prinzip wollten die von vornherein verhindern, dass ich mich selbständig mache und mich um Gagfah-Mieter kümmere.
Was wurde denn gegen Sie unternommen?
Mir wurde gleich bundesweites Hausverbot für alle Gagfah-Häuser erteilt, das haben sie auch bis heute nicht zurückgenommen. Aber das ist natürlich süß, denn der Mieter hat ja das Hausrecht und kann mich zu sich einladen.
Man hatte offenbar Angst vor Ihnen.
Sie wollten auf jeden Fall verhindern, dass ich zu den Mietern gehe. Am Anfang habe ich auch noch ein bisschen Werbung für meine Agentur gemacht und da wollten sie mir verbieten, dass ich Informationen in die Briefkästen einwerfe. Aber das geht natürlich auch nicht, die können mich ja nicht zensieren.
Sie stören also den Betrieb.
Den Betrieb stören sie selber. Ich vertrete Mieterinteressen und die müssen Interessen profitgieriger Investoren umsetzen. So einfach ist das. Ich betrachte Sachverhalte durch die Mieterbrille, genau wie der Vermieter die Vermieterbrille auf hat – das ist ja auch logisch. Aber ich kann trotzdem einigermaßen neutral beurteilen, in welchem Zustand sich eine Wohnung befindet und wer Schuld an dem Zustand hat. Mieter teilten mir mit, dass ihnen Versprechungen von der zuständigen Kundenbetreuerin gemacht werden, wenn sie meine Hilfe nicht in Anspruch nehmen. Das spricht nicht für ein Mieterverschulden.
Was bedeutet es für die Mieter, wenn ihnen die Wohnung unter den Händen wegrottet?
Naja, es gibt gerade in Stadtvierteln wie Steilshoop, wo die Gagfah rund 2.300 Wohnungen hat, immer mehr Mieter, die dankbar sind, wenn sie überhaupt eine Wohnung bekommen. Die mögen gar nichts sagen, aus Angst, die Wohnung wieder zu verlieren. Alteingesessene Mieter lassen sich das eher nicht bieten. Die meisten halten leider die Füße still. Das ist schade, aber man kann es nicht erzwingen. Eine starke Mieterschaft würde am meisten bewirken, aber es läuft auch so immer besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül