: Der Schritt nach „Trainspotting“
■ Das Emder Filmfest bot ein solides Programm mit starken Briten und neuen Heimatfilmen
Es wird immer schwieriger für kleine, lokale Filmfestivals wie das in Emden, wirkliche Glanzlichter zu setzen. Denn inzwischen schnappen ihnen die großen Festivals die Neuentdeckungen und vielversprechenden Debütfilme regelmäßig weg. Und wenn, wie in diesem Jahr, selbst in Cannes eher das Mittelmaß regierte, kann man kaum auf Meisterwerke in Ostfriesland hoffen. Aber auch solide Hausmannskost hat ihren Reiz, und zumindest zwei Tendenzen waren in diesem Jahr in Emden durchaus erfreulich: Zum einen war die Bandbreite von interessanten Filmen aus Großbritannien so groß wie vorher selten, und zum anderen gab es zumindest zwei norddeutsche Filme, die ihre Heimat ohne alle falschen Töne feierten.
Die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms stammt aus Emden, und mit ihrem Dokumentarfilm „Die Glocken von Emden“ hat sie so etwas wie eine Liebeserklärung an ihre Heimatstadt gedreht. Sie erzählt darin von ihrem Onkel Bernhard Brahms, der sich in der schlimmsten Emder Bombennacht schwor, der wiederaufgebauten Stadt einmal ein großes Geschenk zu machen. Nach 50 Jahren stiftet er Emden nun ein großes Glockenspiel für das Rathaus. Der 45-Minuten lange Fernsehfilm ist noch nicht fertig, weil auch die 23 Glocken noch nicht im Turm hängen, aber in der guten halben Stunde, die Sanders-Brahms schon auf dem Filmfest zeigte, wurde die Geschichte sehr anschaulich und anrührend erzählt.
Sanders-Brahms führt uns in die Wohnzimmer von vielen Emdern. Gleich zwei Mal wird da genau gezeigt, wie man hier das Teetrinken zelebriert, und Onkel Bernhard wird zum sensiblen Local Hero stilisiert. Vielleicht wirkt das später im Fernsehen allzu harmlos und geschönt, aber auf heimischer Leinwand war „Die Glocken von Emden“ genau der passende Film, und man brauchte nach der Vorführung nur ein paar Meter zu gehen, um mit eigenen Augen den noch leeren Rathausturm zu sehen.
Immerhin den zweiten Platz beim Wettbewerb um den Publikumspreis errang das Filmportrait „Hans Warns – Mein 20. Jahrhundert“ von Gordian Maugg. Diese auch stilistisch originelle Mischung aus Interviews mit dem alten Kapitän Warns, Archivmaterial und Spielfilmsequenzen erzählt vom sturmbewegten Leben eines niedersächsischen Seemanns in zwei Weltkriegen und auf den sieben Weltmeeren. Und wenn die Geschichte manchmal allzu romanhaft wirkt, liegt es daran, dass sowohl der Regisseur Gordian Maugg wie auch Hans Warns selber das Spinnen von Seemansgarn nicht lassen konnten.
Wie bei der diesjährigen Fülle von britischen Filmen kaum anders zu erwarten, gewann mit „A Love Divided“ einer von ihnen den mit 20.000 Mark dotierten, vom Publikum gewählten Bernhard-Wicki-Preis. Das politische Melodram erzählt die alte Geschichte von den Liebenden, die zueinander nicht kommen können, diesmal weil im Irland der fünfziger Jahre die Ehe einer Protestantin mit einem Katholiken von Kirche und Gesellschaft nicht geduldet wurde.
Zumindest radikaler und zeitgenössischer war aber der Film „Human Traffic“ des erst 25 Jahre alten walisischen Filmemachers Justin Kerrigan. Darin wird von einem Wochenende erzählt, das fünf junge Freunde gleich einem Marathonlauf mit Musik, Clubs, Drogen und den wichtigen Fragen des Lebens durchjagen. Alles irrsinnig schnell, ungeschönt und authentisch inszeniert. Der Film ist pures Lebensgefühl, der nächste Schritt nach „Trainspotting“.
Als extremes Kontrastprogramm dazu gab es mit „Mansfield Park“ noch eine gelungene Jane-Austin-Adaption, und auch sonst waren fast alle Genres, in denen die Briten gut sind, auf dem Filmfest vertreten: Es gab eine schwarze Komödie („Milk“), einen realistisch-lakonischen Thriller („Out of Depth“) und eine nostalgische Romanze („Dreaming of Joseph Lees“). So war man als Zuschauer vielleicht von keinem Werk restlos überzeugt, aber am Ende eines Tages mit englischen Filmen dann doch gut abgefüllt und zufrieden.
Wilfried Hippen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen