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Der Schrecken des Eises

■ Nein, nicht von Ransmayr, sondern von Nils Gaup und gefilmt: der Neue Lappländische Film fröstelt von der Leinwand bis in die Kinosessel - Kälte, Böses und die Weite des Eises

Eis und Schnee, wohin das Auge blickt, Flockenfontänen, die der Wind über die Ebene peitscht, die Kälte kriecht förmlich von der Leinwand herab in die Kinosesselreihen. Ein Raubvogel zieht im fahlen Licht der Dämmerung seine Kreise, und darunter sucht ein Hund in flirrender Luft nach etwas Freßbarem. Ein Pfeil verläßt sirrend die Armbrust und trifft das Tier tödlich. Auch das kleine Mädchen hat keine Chance. Genau wie die Körper ihrer Eltern landet ihre Leiche im frisch geschlagenen Loch im Eis.

Dies ist das sinistre Eingangsszenario eines Kinowerks aus einem bisher unbekannten Filmland: Der Norweger/Lappländer Nils Gaup brachte mit Pathfinder eine Produktion auf die deutschen Leinwände, die frösteln macht. Gaup (Drehbuch/ Regie) hat sich auf ein gefährliches Terrain begeben. In einer derart spröden Kulisse und mit den eingeschränkten schauspielerischen Möglichkeiten der Darsteller (bis auf das Gesicht ist der gesamte Körper in Felle eingepackt) ist es ein besonderer Verdienst, eine dichte und vor allem fesselnde Atmosphäre

zu schaffen.

Der Meuchelmord zu Beginn blieb nicht unbeobachtet. Der 16 -jährige Sohn der Familie kann sich gerade noch vor einer Gruppe unbekannter, finster gekleideter Männer retten. Mit einem Armbrustpfeil im Oberarm schleppt er sich in ein Nomadencamp, doch damit ist er noch lange nicht in Sicherheit. Das Leben in dieser Gegend ist gefährlich, auch ohne mordende Horden. Die Wölfe reißen das Wild in den Fallen, und es bedarf es schon des gesammelten Männermutes der Nomadengemeinschaft, den Kampf mit einem Braunbären aufzunehmen.

Nils Gaup stellt dem Überlebenskampf der Menschen die jahrhundertealten Riten und Göttermythen zur Seite. Das Schlagen der Gebetstrommeln oder der metallene Ring zur Abwehr übernatürlicher Kräfte gehören genauso selbstverständlich dazu wie das klare Bewußtsein der Einheit von Mensch und Natur.

Bloß das todbringende Männerkommando hat dieses Lebens -Kontinuum längst verloren oder verdrängt, und verfolgt die flüch

tenden Familien unerbittlich. Die zurückgebliebenen Männer, die den Rückzug ihrer Sippe zu schützen versuchen, werden im tiefen Schnee zwischen krüppeligen Birken und erfrorenem Gesträuch erbarmungslos niedergemacht.

Kameramann Erling Thurmann-Andersen ergötzt sich nicht an den Greueltaten in den Weiten des Eises, sondern schwenkt weg von Blut und Tod hin zu den Menschen. Ihre gegerbten Gesichter, die eisverklebten Bärte der Männer, die roten Nasen der Frauen und die wasserblauen Augen verleihen dem Ganzen eine Spur von Unschuld, der Pathfinder seine spezifische Spannung verdankt. Alles etwas schlicht gestrickt, keine Frage, doch das polarisierte Gegenüber von Gut und Böse schafft auch klare Verhältnisse.

Das Ende ist dramatisch und märchenhaft zugleich und umrahmt vom überwältigenden Spiel des Nordlichts. Ein heiliges Rentier weist den Weg der Rettung und wir staunenden Mitteleuropäer dürfen aufatmen. Fast noch mal gutgegangen.

Jürgen Francke

Söge 2, 12.45,15.15,17.45,20.15

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